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Die Königin der Weißen Rose

Die Königin der Weißen Rose

Titel: Die Königin der Weißen Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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den Tower zu gehen», bemerkt sie.
    «Ja», sage ich.
    «Dann glaubst du also, dass unser Edward im Tower nicht sicher ist.»
    «Ich weiß es nicht. Aber ja, ich befürchte es.»
    Sie geht abrupt aufs Fenster zu, und einen Augenblick lang erinnert sie mich an meine Mutter, ihre Großmutter. Sie besitzt dieselbe Entschlossenheit – ich sehe, dass sie sich den Kopf zerbricht über die beste Lösung. Zum ersten Mal glaube ich, dass Elizabeth zu einer Frau heranwachsen wird, mit der man rechnen muss. Sie ist kein kleines Mädchen mehr.
    «Ich glaube, du solltest meinem Onkel einen Brief schicken und ihn um eine Übereinkunft bitten», sagt sie. «Du könntest dich einverstanden erklären, dass wir ihm den Thron geben, wenn er Edward zu seinem Erben bestimmt.»
    Ich schüttele den Kopf.
    «Doch», sagt sie. «Er ist Edwards Onkel, ein Ehrenmann. Er muss einen Ausweg aus dieser Situation doch genauso sehr wünschen wie wir.»
    «Ich gebe Edwards Thron nicht auf», entgegne ich streng. «Wenn Herzog Richard ihn will, muss er ihn an sich reißen und Schande über sich bringen.»
    «Und was, wenn er das tut?», fragt sie mich. «Was geschieht dann mit Edward? Mit meinen Schwestern? Was geschieht mit mir?»
    «Ich weiß es nicht», sage ich vorsichtig. «Kann sein, dass wir kämpfen müssen, kann sein, dass wir verhandeln müssen. Aber wir geben nicht auf. Wir kapitulieren nicht.»
    «Und dieser kleine Junge?», sagt sie und weist mit einem Nicken zur Tür, durch die der Page fortgeführt wurde. «Haben wir ihn seinem Vater weggenommen und ihn gebadet und gekleidet und ihm geboten zu schweigen, umihn in den Tod zu schicken? Tragen wir diesen Kampf aus, indem wir ein Kind als Schild benutzen? Indem wir einen kleinen Jungen in den Tod schicken?»

SONNTAG, 25.   JUNI 1483 – KRÖNUNGSTAG
    «Was?», fauche ich der stillen Morgendämmerung entgegen, wie eine wütende Katze, der man ihre Jungen weggenommen hat, um sie zu ertränken. «Keine königlichen Barkassen? Kein Kanonendonner vom Tower? Kein Wein in den Brunnen der Stadt? Kein Trommelwirbel, keine Lehrlinge, die ihre Zunftlieder hinauskrakeelen? Keine Musik? Keine Jubelrufe? Kein Beifall entlang der Festzugsroute?» Ich öffne das Fenster, sehe den gewohnten Verkehr aus Barkassen, Jollen und Ruderbooten und sage zu meiner Mutter und zu Melusine: «Das ist eindeutig. Sie werden ihn heute nicht krönen. Aber wird er stattdessen sterben müssen?»
    Ich denke an meinen Sohn, als würde ich sein Bildnis malen. Ich denke an die gerade Linie seiner kleinen Nase, deren Spitze immer noch rund ist wie die eines Babys, an seine rundlichen Wangen und die klare Unschuld seines Blicks. Ich denke an die Rundung seines Hinterkopfs, die sich so gut in meine Hand schmiegte, und an seinen geraden Nacken, wenn er sich beim Lernen über seine Bücher beugte. Er war ein tapferer Junge, ein Junge, dem sein Onkel Anthony beigebracht hatte, sich in den Sattel zu schwingen und Turniere zu reiten. Anthony hat versprochen, Edward würde furchtlos werden, indem er lernte, sich der Angst zu stellen. Und er war ein Junge,der das Land liebte. Er war so gern in Ludlow Castle, denn dort konnte er in die Hügel reiten und die Wanderfalken hoch über die Klippen aufsteigen sehen, dort konnte er im kalten Flusswasser schwimmen. Anthony sagte, er habe ein Gespür für die Landschaft – etwas Seltenes bei jungen Menschen. Er war ein Junge mit einer goldenen Zukunft. Er wurde in Zeiten des Krieges geboren, um ein Kind des Friedens zu sein. Ich zweifle nicht daran, dass er ein großartiger Plantagenet-König geworden wäre, auf den sein Vater und ich hätten stolz sein können.
    Ich spreche von ihm, als wäre er tot, denn da er heute nicht gekrönt wird, habe ich wenig Zweifel daran, dass man ihn heimlich töten wird. So wie William Hastings hinausgeschleift und im Tower Green auf einem Baumstumpf geköpft wurde, von einem Henker, der sich noch nachlässig die Hände vom Frühstück abgewischt hat. Lieber Gott, wenn ich an den Nacken meines Jungen und an die Axt des Henkers denke, wird mir so bang ums Herz, dass ich sterben möchte.
    Ich bleibe nicht am Fenster, nicht am Fluss, der gleichgültig dahinfließt, als wäre mein Sohn nicht in Lebensgefahr. Ich kleide mich an, stecke mir die Haare hoch und schleiche in unserem Asyl herum wie eine der Löwinnen, die einst im Tower gehalten wurden. Ich tröste mich mit Pläneschmieden: Wir haben Freunde, ich bin nicht bar jeder Hoffnung. Ich weiß, dass mein Sohn

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