Die Königin der Weißen Rose
schön, dann wurde es immer geschäftiger. Ich habe mich gewundert, dass so viel los war auf dem Fluss. Es war fast, als würde der Fluss selbst es mir erzählen.» Sie sieht den Arzt an. «Wer ist das?»
«Ein Bote von Lady Margaret Stanley», erkläre ich und betrachte ihr nasses Kleid, das sie hinter sich herschleift wie einen Fischschwanz. «Wie bist du so nass geworden?»
«Von den vorbeifahrenden Barkassen», sagt sie, ihr Gesicht blass und feindselig. «Die vielen Barkassen, die den Fluss hinunter zum Baynard Castle gefahren sind, wo Herzog Richard heute groß Hof hält. Das Kielwasser der vorbeifahrenden Schiffe hat die Stufen überspült. Was geschieht dort heute? Halb London ist auf Barkassen unterwegs zum Haus des Herzogs, dabei soll mein Bruder doch angeblich heute gekrönt werden.»
Dr. Lewis wirkt verlegen. «Ich wollte es Eurer königlichen Mutter gerade mitteilen», sagt er zögernd.
«Der Fluss selbst ist Zeuge», sagt meine Tochter rüde. «Er ist mir über die Füße geschwappt, als wollte er es mir sagen. Jeder kann es erraten.»
«Was erraten?», frage ich beide.
«Das Parlament hat sich versammelt und Herzog Richard zum rechtmäßigen König erklärt», sagt er leise, doch seine Worte hallen durch das Flurgewölbe, als verkündete er lauthals eine Proklamation. «Es hat entschieden, dass Eure Ehe mit dem König ohne Wissen der rechtmäßigen Lords geschlossen wurde und durch Hexerei seitens Eurer Mutter und Euch herbeigeführt wurde. Und dass der König bereits mit einer anderen Dame verheiratet war.»
«Dann warst du also all die Jahre seine Hure und wir sind Bastarde», fährt Elizabeth kalt fort. «Wir sind vernichtet und beschämt. Es ist vorbei, alles vorbei. Können wir Edward und Richard jetzt abholen und gehen?»
«Was redest du da?», frage ich sie. Diese Tochter in einem Kleid wie ein nasser Fischschwanz, wie eine Meerjungfrau, die vom Fluss hochgekommen ist, verwirrt mich genauso wie die Nachricht, dass Richard Anspruch auf den Thron erhoben hat und wir geschlagen wurden. «Was redest du da? Was ist dir durch den Kopf gegangen, als du am Fluss gesessen hast? Elizabeth, du bist so seltsam heute. Warum bist du so?»
«Weil ich glaube, dass wir verflucht sind», schleudert sie mir entgegen. «Ich glaube, wir sind verflucht. Der Fluss hat mir einen Fluch zugeflüstert. Dir und Vater gebe ich die Schuld, weil ihr uns in die Welt gesetzt und hierher gebracht habt, in die Klauen des Ehrgeizes, und doch habt ihr an der Macht nicht festhalten können, um uns zu schützen.»
Ich greife nach ihren kalten Händen und halte sie fest, als wollte ich meine Tochter am Fortschwimmen hindern. «Du bist nicht verflucht, Mädchen. Du bist das beste und außerordentlichste meiner Kinder, das schönste undmeistgeliebte. Das weißt du! Welcher Fluch sollte dich treffen?»
Der Blick, den sie mir zuwirft, ist voller Entsetzen, als hätte sie ihren Tod gesehen. «Du wirst niemals aufgeben, du wirst uns niemals in Frieden lassen. Dein Ehrgeiz wird der Tod meiner Brüder sein, und wenn sie tot sind, setzt du mich auf den Thron. Der Thron ist dir wichtiger als deine Söhne, und wenn sie beide tot sind, setzt du mich auf den Thron meines toten Bruders. Du liebst die Krone mehr als deine Kinder.»
Ich schüttele den Kopf, um die Macht ihrer Worte zu leugnen. Dies ist mein kleines Mädchen, dies ist mein sorgloses, unkompliziertes Kind, dies ist mein Liebling, meine Elizabeth. Sie ist Fleisch von meinem Fleisch. Sie hatte nie einen Gedanken, den ich ihr nicht in den Kopf gesetzt habe. «Das kannst du gar nicht wissen; es ist nicht wahr. Du kannst es nicht wissen. Der Fluss kann dir so etwas nicht sagen, und du kannst es nicht hören. Es ist nicht wahr.»
«Ich werde den Thron meines Bruders einnehmen», sagt sie, als könnte sie mich nicht hören. «Und du wirst froh sein darüber, denn dein Ehrgeiz ist dein Fluch, sagt der Fluss.»
Ich werfe einen Blick auf den Arzt und überlege, ob sie Fieber hat. «Elizabeth, der Fluss kann nicht zu dir sprechen.»
«Natürlich spricht er zu mir, natürlich höre ich ihn!», ruft sie ungeduldig aus.
«Es gibt keinen Fluch …»
Sie wirbelt herum, gleitet durch den Raum – ihr Kleid hinterlässt eine feuchte Schleifspur – und öffnet das Fenster. Dr. Lewis und ich folgen ihr, für einen Augenblick besorgt, sie wäre wahnsinnig geworden und wollteaus dem Fenster springen. Doch ich werde augenblicklich von einer hohen, süßen Totenklage vom Fluss
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