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Die Königin der Weißen Rose

Die Königin der Weißen Rose

Titel: Die Königin der Weißen Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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gebremst, einem sehnsüchtigen Laut, einem Trauergesang, einem derart qualvollen Klang, dass ich die Hände auf die Ohren lege, um das Klagelied auszusperren. Fragend sehe ich den Arzt an. Er schüttelt verwirrt den Kopf, denn er hört nur heitere Stimmen von den vorbeifahrenden Barkassen, die zur Krönung des Königs fahren, Trompetengeschmetter und Trommelschlag. Indessen sieht er die Tränen in Elizabeths Augen. Er sieht mich vor dem offenen Fenster zurückschrecken und mir vor dem quälenden Gesang die Ohren zuhalten.
    «Das gilt nicht dir», sage ich. Ich ersticke schier an meinem Kummer. «Ach, Elizabeth, meine Liebe, das gilt dir nicht. Das ist Melusines Lied, das wir hören, wenn einer aus unserem Hause stirbt. Das ist keine Warnung für dich. Dies gilt meinem Sohn Richard Grey, ich kann es hören. Es gilt meinem Sohn und meinem Bruder Anthony. Meinem Bruder Anthony, dem ich geschworen habe, ich würde auf ihn aufpassen.»
    Der Arzt ist kreidebleich vor Schreck. «Ich höre nichts», sagt er. «Nur den Lärm der Menschen, die den neuen König bejubeln.»
    Elizabeth ist neben mir, ihre grauen Augen sind dunkel wie sturmgepeitschtes Meer. «Dein Bruder? Was meinst du damit?»
    «Mein Bruder und mein Sohn haben durch die Hand von Richard of Gloucester den Tod gefunden, so wie mein Bruder John und mein Vater durch George of Clarence zu Tode gekommen sind. Die Söhne von York sind mordende Bastarde, Richard ist kein Deut besser als George. Sie haben mir den besten Mann meiner Familie genommen und mir das Herz gebrochen. Ich kann es hören. Ich kann denFluss hören. Das ist sein Lied. Das ist seine Totenklage für meinen Sohn und meinen Bruder.»
    Sie tritt näher. Sie ist wieder mein zartes Mädchen, ihr wilder Zorn wie weggefegt. Sie legt mir eine Hand auf die Schulter. «Mutter   …»
    «Glaubst du denn, er hört jetzt auf?», platzt es wütend aus mir heraus. «Er hat meinen Jungen, er hat meinen königlichen Sohn. Wenn er es wagt, mir Anthony wegzunehmen, wenn er es über sich gebracht hat, mir Richard Grey zu nehmen, glaubst du, er wird davor haltmachen, mir auch noch Edward zu nehmen? Einen Bruder und einen Sohn hat er mir an diesem Tag schon geraubt. Niemals werde ich ihm das verzeihen, niemals werde ich das vergessen! Für mich ist er ein toter Mann. Ich werde ihn siechen sehen, ich werde sehen, wie sein Schwertarm ihm den Dienst versagt, ich werde sehen, wie er nach seinen Freunden sucht, wie ein Kind, das sich auf dem Schlachtfeld verirrt hat, ich werde sehen, wie er fällt.»
    «Mutter, sei still», flüstert sie. «Sei still und hör dem Fluss zu.»
    Es ist das Einzige, was mich beruhigen kann. Ich reiße alle Fenster des Zimmers auf. Warme Sommerluft dringt in die kalte Düsternis der Krypta. Tief unten schwappt das Wasser gegen die Ufer. Es ist Ebbe, es stinkt nach Schlamm, doch der Fluss fließt weiter, als wollte er mich daran erinnern, dass das Leben weitergeht, als wollte er sagen, dass Anthony von uns gegangen ist, dass mein Sohn Richard Grey gegangen ist und dass mein Junge, der kleine Prinz Richard, auf einem kleinen Boot flussabwärts zu Fremden gegangen ist.
    Von vorbeifahrenden Barkassen weht Musik herüber, die Edelleute feiern Herzog Richards Thronbesteigung. Ich begreife nicht, dass sie den Gesang des Flusses nichthören können, dass sie nicht wissen, dass Lichter ausgelöscht wurden mit dem Tod meines Bruders Anthony und meines Sohnes   … meines Sohnes.
    «Er hätte nicht gewollt, dass du trauerst», sagt sie ruhig. «Onkel Anthony hat dich so sehr geliebt. Er hätte nicht gewollt, dass du trauerst.»
    Ich lege meine Hand auf die ihre. «Er hätte gewollt, dass ich weiterlebe und euch Kinder aus dieser Gefahr bringe», sage ich. «Wir halten uns vorerst weiter im Asyl versteckt, aber ich schwöre, wir werden wieder hinausgehen und unseren wahren Platz einnehmen. Du kannst dies den Fluch des Ehrgeizes nennen, wenn du willst, aber ohne ihn würde ich nicht kämpfen. Und kämpfen werde ich. Du wirst mich kämpfen sehen und siegen.
    Wenn wir nach Flandern segeln müssen, werden wir es tun. Wenn wir zuschnappen müssen wie in die Enge getriebene Hunde, werden wir es tun. Wenn wir uns wie Bauern in Tournai verstecken und uns von Aalen aus der Schelde ernähren müssen, werden wir es tun. Richard wird uns nicht vernichten. Kein Mann auf dieser Welt kann uns vernichten. Wir werden uns erheben. Wir sind Kinder der Göttin Melusine: Vielleicht müssen wir zurückweichen, doch wir werden

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