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Die Königin der Weißen Rose

Die Königin der Weißen Rose

Titel: Die Königin der Weißen Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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wieder aufsteigen. Das wird Richard noch erfahren. Jetzt sind wir am Tiefpunkt angelangt, aber bei Gott, er wird erleben, wie es ist, wenn sich die Gezeiten wenden.»
    Tapfere Worte, doch sobald ich schweige, überwältigt mich die Trauer um meinen Sohn Richard und um meinen Bruder, meinen geliebten Bruder Anthony. Ich denke noch einmal an Richard als an einen kleinen Jungen, wie er hoch oben auf dem Pferd des Königs saß, wie er am Straßenrand meine Hand hielt, als wir auf den König warteten. Er war mein Junge, mein schöner Junge, dessenVater in der Schlacht gegen einen der York-Brüder starb, und jetzt ist er gestorben durch die Hand eines anderen York. Ich erinnere mich an meine Mutter, wie sie ihren Sohn John betrauert und gesagt hat, wenn man ein Kind durch die ersten Lebensjahre gebracht hat, wiege man sich in Sicherheit. Doch eine Frau ist nie sicher. Nicht in dieser Welt. Nicht in dieser Welt, in der ein Bruder gegen den anderen kämpft und niemand das Schwert zur Seite legen oder dem Gesetz vertrauen kann. Ich denke an ihn als Baby in der Wiege, als Kleinkind, als er laufen lernte, sich an meine Finger klammerte, die lange Galerie in Grafton immer hoch und runter, bis mir der Rücken wehtat vom Bücken, und dann denke ich an ihn als Jüngling, aus dem ein guter, aufrechter Mann werden sollte.
    Mein Bruder Anthony war seit Kindheitstagen mein liebster und vertrauenswürdigster Freund und Ratgeber. Edward hatte recht, ihn den größten Dichter und edelsten Ritter am Hof zu nennen. Anthony, der so gern nach Jerusalem pilgern wollte, hätte ich ihn nicht aufgehalten. Richard hat in Stony Stratford mit den beiden gespeist, als sie sich auf der Straße nach London begegnet sind und freundlich über das England sprachen, das wir alle zusammen errichten würden, Rivers und Plantagenets, über ihren gemeinsamen Erben, meinen Sohn, den sie auf den Thron setzen würden. Anthony war kein Narr, aber er hat Richard vertraut – warum auch nicht? Sie waren Verwandte. Sie haben Seite an Seite in der Schlacht gekämpft, waren Waffenbrüder. Sie sind zusammen ins Exil gegangen und im Triumph nach England zurückgekehrt. Beide Onkel hatten die Vormundschaft für meinen kostbaren Sohn inne.
    Als Anthony am Morgen in die Gaststube hinunterkam, um zu frühstücken, waren die Türen verbarrikadiert,und seine Männer hatte man weggeschickt. Er fand Herzog Richard und Henry Stafford, Duke of Buckingham, vor, zur Schlacht gerüstet, ihre Männer mit versteinerten Gesichtern im Hof. Sie verschleppten ihn zusammen mit meinem Sohn Richard Grey und Sir Thomas Vaughan und beschuldigten sie des Verrats, obwohl alle drei treue Diener meines Sohnes, des neuen Königs, waren.
    Im Gefängnis, wo er auf seinen Tod am nächsten Morgen wartet, lauscht Anthony einen Augenblick am Fenster, ob es nicht doch so etwas gibt wie das starke, süße Lied der Melusine. Er erwartet nicht, etwas zu hören, doch als er ein glockenähnliches Läuten hört, erhellt ein Lächeln sein Gesicht. Er schüttelt den Kopf, um das Läuten aus seinen Ohren zu vertreiben, doch die überirdische Stimme bleibt und verleitet ihn zu einem pietätlosen Kichern. Er hat nie an die Legende von dem Mädchen geglaubt, das halb Fisch ist und halb Frau, die Ahnherrin seines Geschlechts. Doch jetzt muss er feststellen, dass es ihn tröstet, sie um seinen Tod singen zu hören. Er bleibt am Fenster stehen, die Stirn gegen den kühlen Stein gelehnt. Ihre Stimme zu hören, hoch und klar, über den Zinnen von Pontefract Castle, ist ihm endlich Beweis dafür, dass es die Gabe seiner Mutter, seiner Schwester und seiner Nichte wirklich gibt. Sie haben es immer behauptet, doch er hat ihnen nur halb geglaubt. Er wünschte, er könnte seiner Schwester noch sagen, dass er es jetzt weiß. Sie werden die Gabe womöglich brauchen. Vielleicht reicht sie aus, um sie zu retten. Um die ganze Familie zu retten, die sich zu Ehren der Wassergöttin Rivers genannt hat, der Begründerin ihrer Familie. Vielleicht sogar, um ihre zwei Plantagenet-Söhne zu retten. Wenn Melusine für ihn, einen Ungläubigen, singen kann, kann sie vielleicht auch die leiten, die auf ihreWarnungen hören. Er lächelt, denn das hohe, klare Lied gibt ihm Hoffnung, dass Melusine über seine Schwester und ihre Söhne wacht, besonders über den Jungen, der in seiner Obhut war und den er liebt: Edward, den neuen König von England. Er lächelt, weil ihre Stimme die Stimme seiner Mutter ist.
    Er verbringt die Nacht weder betend noch

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