Die Königin der Weißen Rose
irgendeinem Vorwand verhaften und ein Jahr oder länger festhalten lassen, bis er mit einer Prinzessinseiner Wahl verheiratet ist. Er hat mit Mutter und dir gespielt und euch zum Narren gehalten.»
«Ich schwöre dir, dass er mich liebt.»
«Vielleicht», räumt er ein. «So wie er alle Frauen liebt, mit denen er ins Bett geht, und das sind Hunderte. Aber was, wenn die Schlacht vorüber ist und er auf dem Heimweg am Straßenrand ein anderes hübsches Mädchen sieht? Dann hat er dich in einer Woche vergessen.»
Ich fahre mir mit der Hand über das Gesicht und stelle fest, dass meine Wangen nass sind vor Tränen. «Ich gehe zu Mutter und erzähle ihr, was du gesagt hast», sage ich schwach. Damit habe ich ihm als Kind immer gedroht, aber es hat ihm schon damals nicht imponiert.
«Lass uns zusammen zu ihr gehen. Sie wird nicht glücklich sein, wenn sie erkennt, wie sie an der Nase herumgeführt wurde und Schande über ihre Tochter gebracht hat.»
Schweigend gehen wir durch den Wald und über die kleine Brücke. Als wir an der großen Esche vorüberkommen, werfe ich einen Blick auf ihren Stamm. Der verknotete Faden ist verschwunden; es gibt keinen Beweis dafür, dass es den Zauber je gab. Das Wasser des Flusses, aus dem ich meinen Ring gezogen habe, fließt unschuldig vorbei. Es gibt keinen Beweis dafür, dass der Zauber je gewirkt hat. Oder dafür, dass es so etwas wie Zauber überhaupt gibt. Alles, was ich habe, ist ein kleiner goldener Ring, geschmiedet wie eine Krone, der vielleicht gar nichts zu bedeuten hat.
Mutter ist im Kräutergarten neben dem Haus. Als sie uns in störrischem Schweigen auf sich zukommen sieht, richtet sie sich mit den Kräutern in ihrem Korb auf und wappnet sich.
«Mein Sohn», grüßt sie meinen Bruder. Anthony knietvor ihr nieder, damit sie ihn segnet, und sie legt ihm die Hand auf den blonden Schopf und lächelt auf ihn hinab. Er steht wieder auf und nimmt ihre Hand in die seine.
«Ich glaube, der König hat dich und meine Schwester angelogen», beginnt er unverhohlen. «Die Eheschließung war so geheim, dass niemand von Autorität sie bezeugen kann. Ich glaube, er hat das Ganze fingiert, um sie ins Bett zu kriegen, und er wird leugnen, dass sie geheiratet haben.»
«Oh, glaubst du das?», fragt sie gelassen.
«Ja», antwortet er. «Es wäre nicht das erste Mal, dass er einer Frau eine Vermählung vorgetäuscht hat, um sie ins Bett zu bekommen. Er hat dieses Spiel früher schon gespielt, und am Ende hatte sie einen Bastard und keinen Ehering.»
Meine Mutter zuckt in einer großartigen Geste die Achseln. «Was er früher getan hat, ist ganz allein seine Sache», erwidert sie. «Aber ich habe gesehen, wie er geheiratet und den Eid geleistet hat, und ich wette, dass er zurückkommt, um sie aller Welt als seine Frau vorzustellen.»
«Niemals», sagt Anthony einfach. «Sie ist ruiniert. Wenn sie ein Kind bekommt, wird sie in Ungnade fallen.»
Meine Mutter blickt lächelnd in sein zorniges Gesicht. «Wenn du recht hättest und er die Ehe leugnete, stünden ihre Aussichten in der Tat sehr schlecht», stimmt sie ihm zu.
Ich wende den Kopf ab. Noch vor einem kurzen Augenblick hat mein Liebster mir erklärt, wie ich seinen Sohn in Sicherheit bringen soll. Jetzt heißt es, dieses Kind werde mein Ruin sein.
«Ich gehe nach meinen Söhnen sehen», sage ich kalt zu den beiden. «Ich will das nicht hören, und ich werde mich nicht dazu äußern. Ich bin ihm treu, und er wird mir treusein. Es wird euch noch leidtun, dass ihr an uns gezweifelt habt.»
«Du bist eine Närrin», meint mein Bruder. «Das tut mir leid.» Und zu meiner Mutter sagt er: «Du hast dich auf ein gefährliches und großartiges Spiel eingelassen, aber du hast ihr Leben und ihr Glück auf das Wort eines allseits bekannten Lügners verpfändet.»
«Vielleicht», sagt meine Mutter ungerührt. «Du bist ein kluger Mann, mein Sohn, ein Philosoph. Aber manches weiß ich besser als du, selbst jetzt.»
Ich wende mich ab. Keiner der beiden ruft mich zurück.
Ich muss warten, das ganze Königreich muss warten, um zu erfahren, wen es als König bejubeln soll, wer das Land von nun an regieren wird. Mein Bruder Anthony schickt einen Mann nach Norden, der die Lage erkunden soll, und dann warten wir alle darauf, dass er zurückkommt und uns berichtet, ob es zur Schlacht gekommen ist und ob das Glück König Edward treu war. Im Mai kommt Anthonys Bote endlich nach Hause und berichtet, dass er weit oben im Norden war, nahe Hexham, wo
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