Die Königin der Weißen Rose
drei meiner Schwestern bilden vorläufig meine Entourage; meine soeben gekürten Hofdamen und ich betreten den Raum mit dem Eifer eines Hexenzirkels, der zum Prozess geschleift wird.
Die Herzoginwitwe Cecily sitzt auf einem großen Stuhl unter einem Thronhimmel. Sie macht sich nicht die Mühe, sich zu meiner Begrüßung zu erheben. Ihre Robe ist am Saum und auf der Brust mit Juwelen besetzt, und den hohen Hennin trägt sie stolz wie eine Krone. Nun gut, ich bin zwar die angetraute Gattin ihres Sohnes, aber ich bin noch nicht zur Königin geweiht. Sie ist nicht verpflichtet, vor mir den Hofknicks zu machen. Sie wird mich für eine Lancastrianerin halten, für eine Feindin ihres Sohnes. Die Haltung ihres Kopfes und die Kälte ihres Lächelns vermitteln mir sehr deutlich, dass ich für sie nicht mehr bin als eine ganz gewöhnliche Frau, als wäre sie selbst nicht auchals gewöhnliche Frau aus dem Volk zur Welt gekommen. Hinter ihrem Stuhl stehen ihre Töchter Anne, Elizabeth und Margaret, unauffällig und bescheiden gekleidet, um ihre Mutter nicht in den Schatten zu stellen. Margaret ist ein hübsches Mädchen: blond und hochgewachsen wie ihre Brüder. Sie lächelt mich, ihre neue Schwägerin, schüchtern an, aber keine von ihnen tritt vor, um mich zu küssen. Der Raum ist kalt wie das Wasser eines Sees im Dezember.
Ich knickse, aber nicht sehr tief, vor Herzogin Cecily, aus Achtung vor der Mutter meines Gatten. Hinter mir beschreibt meine Mutter eine umwerfende höfische Geste und steht dann vollkommen still, mit erhobenem Haupt, selbst eine ungekrönte Königin.
«Ich werde nicht vorgeben, glücklich über diese heimlich geschlossene Ehe zu sein», beginnt die Herzoginwitwe schroff.
«Privat», unterbricht meine Mutter sie gewitzt.
Die Herzogin hält konsterniert inne. Ihre vollkommenen, geschwungenen Augenbrauen schnellen in die Höhe. «Bitte verzeiht, Lady Rivers, habt Ihr etwas gesagt?»
«Weder meine Tochter noch Euer Sohn würden so weit gehen und heimlich heiraten», sagt meine Mutter, und ihr Burgunder Akzent lebt plötzlich wieder auf, der stilvollste und eleganteste Akzent in ganz Europa. Besser könnte sie niemanden darauf aufmerksam machen, dass sie die Tochter des Comte de Saint-Pol ist und dem burgundischen Königshaus entstammt. Sie hat die Königin beim Vornamen genannt. Sie ist die Einzige, die heute immer noch von ihr als «Marguerite d’Anjou» spricht, mit Betonung auf dem «d’». In ihrer ersten Ehe war sie Duchess of Bedford, ihr Ehemann, der Herzog, war von königlichem Geblüt und ein großer Lord am lancastrianischen Hof, während dieFrau, die jetzt so stolz vor uns sitzt, nur als Lady Cecily Neville of Raby Castle zur Welt gekommen ist. «Selbstverständlich war es keine geheime Hochzeit. Außer mir waren noch weitere Zeugen anwesend. Es war eine private Hochzeit.»
«Eure Tochter ist Witwe und um Jahre älter als mein Sohn», sagt Ihre Gnaden, bereit zum Kampf.
«Er ist kein Junge mehr. Sein Ruf ist notorisch schlecht. Außerdem liegen nur fünf Jahre zwischen ihnen.»
Die Ladys der Herzogin keuchen hörbar auf. Ihre Töchter zucken erschreckt zusammen. Margaret sieht mich mitleidig an, als wollte sie mir zeigen, dass ich der anstehenden Demütigung nicht entkommen könne. Meine Schwestern und ich stehen wie versteinert, als seien wir mitten im Hexentanz mit einem Bann belegt worden.
«Das Gute daran ist», sagt meine Mutter, die sich sichtlich für das Thema erwärmt, «dass wir wenigstens sicher sein können, dass die beiden fruchtbar sind. Wie man hört, hat Euer Sohn mehrere Bastarde, und meine Tochter hat zwei hübsche, legitime Söhne.»
«Mein Sohn entstammt einer fruchtbaren Familie. Ich habe acht Söhne», erklärt die Herzoginwitwe.
Meine Mutter neigt den Kopf, und der Schleier ihres Hennins bauscht sich wie ein Segel. «O ja», bemerkt sie. «Tatsächlich. Aber von den acht leben nur noch drei, nicht wahr? Wie traurig! Zufälligerweise habe ich fünf Söhne. Fünf. Und sieben Töchter. Elizabeth kommt aus einem fruchtbaren königlichen Stall. Wir können wohl hoffen, dass Gott die neue Königsfamilie mit zahlreichen Nachkommen segnen wird.»
«Nichtsdestotrotz war sie nicht meine Wahl und auch nicht die Wahl von Lord Warwick», wiederholt Ihre Gnaden, bebend vor Zorn. «Es hätte nichts zu bedeuten, wennEdward nicht König wäre. Ich hätte darüber hinwegsehen können, wenn sie die Wahl eines dritten oder vierten Sohnes gewesen wäre, der sich so weit vergessen
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