Die Königin der Weißen Rose
Geliebten und Auserkorenen des Himmels. Ich warte darauf, dass mich ein Schauer überläuft, da Gott mich erwählt hat, Königin von England zu sein, doch ich fühle nichts. Nur Erleichterung, dass die Zeremonie zu Ende ist und vage Befürchtungen wegen des nun folgenden gewaltigen Festbanketts.
Dreitausend Edle und ihre Damen lassen sich nieder, um mit mir zu dinieren, und jeder Gang besteht aus zwanzig Gerichten. Zum Essen lege ich die Krone ab, doch zwischen den Gängen setze ich sie wieder auf. Es ist wie ein endloser Tanz, der Stunden währt, in dem ich mich an alle Schritte erinnern muss. Um mich vor neugierigen Blicken abzuschirmen, knien die Countess of Shrewsbury und die Countess of Kent neben mir nieder und halten beim Essen einen Schleier vor mich. Aus Höflichkeit probiere ich von jedem Gericht, aber ich esse fast nichts. Die Krone drückt mich nieder wie ein Fluch, und meine Schläfen pochen. Ich weiß, dass ich zur höchsten Stellung im Land aufgestiegen bin, aber ich sehne mich nur nach meinem Ehemann und meiner Schlafstatt.
An diesem Abend gibt es einen Augenblick, wahrscheinlich um den zehnten Gang herum, da ich tatsächlich denke, dies sei ein schrecklicher Fehler gewesen und ich wäre glücklicher daheim in Grafton, ohne die ehrgeizige Hochzeit und den Aufstieg ins Königshaus. Doch die Reue kommt zu spät. Auch wenn ich so erschöpft bin, dass die feinsten Gerichte nach nichts schmecken, muss ich doch weiterlächeln, meine schwere Krone wieder aufsetzen und die besten Gerichte an die Günstlinge des Königs senden lassen.
Die ersten bekommen seine Brüder, George of Clarence, der goldene junge Mann, und der jüngste York, der zwölfjährige Richard of Gloucester, der mich schüchtern anlächelt und den Kopf senkt, als ich ihm geschmorten Pfauenbraten schicke. Er sieht seinen Brüdern gar nicht ähnlich, er ist klein und schüchtern und dunkelhaarig, von schmächtigem Wuchs und ruhig, während sie groß sind, mit hellem Haar und zutiefst überzeugt von ihrer eigenen Bedeutung. Richard mag ich auf den ersten Blick,ich glaube, er wird meinen Söhnen, die nur wenig jünger sind als er, ein guter Gefährte und Spielkamerad.
Am Ende des Banketts, als ich von Dutzenden Adligen und Hunderten Geistlichen zu meinen Gemächern begleitet werde, halte ich den Kopf noch immer hoch erhoben, als sei ich nicht müde oder überwältigt. Ich weiß, dass ich heute zu mehr als einer Sterblichen geworden bin: zur Halbgöttin. Aus mir ist eine Gottheit geworden ähnlich meiner Ahnin Melusine, die als Göttin geboren und zur Frau wurde. Sie musste mit der Männerwelt hart verhandeln, um von einem Reich ins andere zu gelangen. Sie musste ihre Freiheit im Wasser aufgeben und sich Füße verdienen, mit denen sie an der Seite ihres Ehemannes auf der Erde wandeln konnte. Ich kann nicht anders, ich frage mich, was ich aufgeben muss, um Königin zu werden.
Sie legen mich im königlichen Schlafgemach in das Bett von Margarete von Anjou, und die goldene Bettdecke bis zu den Ohren hochgezogen, warte ich darauf, dass Edward sich von der Feier entfernen und zu mir kommen kann. Er wird von einem halben Dutzend Gefährten und Dienern zu meinem Schlafgemach begleitet. Sie entkleiden ihn zeremoniell und lassen ihn erst allein, als er im Nachthemd ist. Er bemerkt, dass ich ihn aus weit aufgerissenen Augen ansehe, und schließt lachend hinter sich die Tür.
«Jetzt sind wir König und Königin», sagt er. «Diese Zeremonien müssen wir ertragen, Elizabeth.»
Ich strecke ihm die Arme entgegen. «Solange du so bleibst wie du bist, selbst unter der Krone.»
Er streift sein Nachthemd ab und kommt zu mir. Seine Schultern sind breit, seine Haut weich, an den Schenkeln und am Bauch zeichnen sich Muskeln ab. «Ich bin ganz dein», flüstert er, und als er in das kalte Bett neben michrutscht, vergesse ich fast, dass wir König und Königin sind, und denke nur noch an seine Berührungen und mein Begehren.
Tags darauf findet ein großes Turnier statt, die Adligen nehmen in prächtigen Kostümen Aufstellung, und ihre Knappen deklamieren lauthals Gedichte. Meine Söhne sitzen neben mir in der königlichen Loge, mit großen Augen und offenen Mündern verfolgen sie die Zeremonie, bestaunen die Flaggen, den Glanz und die Menge, die schiere Größe ihres ersten großen Turniers. Auch meine Schwestern und Anthonys Gattin Elizabeth sitzen bei mir. Wir bevölkern den Hof mit schönen Frauen; schon jetzt sprechen die Leute über diese in England bis
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