Die Königin der Weißen Rose
dato unbekannte Eleganz.
Die Cousins aus Burgund haben sich aufstellen lassen. Ihr Turnierharnisch ist der stilvollste, ihre Gedichte haben das beste Versmaß. Doch mein Bruder Anthony ist allen überlegen: Der Hof ist ganz verrückt nach ihm. Er reitet so anmutig und trägt meine Gunstbezeigung, und er bricht die Lanzen von einem Dutzend Männern. Seine Gedichte sind unübertroffen. Er schreibt im romantischen Stil südlicher Länder; wenn er von Freude erzählt, so tut er es mit einer traurigen Note, ein Mann, der über Tragödien lächelt. Er schreibt Gedichte über unerfüllte Liebe und Hoffnungen, die Männer Sandwüsten und Frauen Ozeane überqueren lassen. Kein Wunder, dass sich sämtliche Hofdamen in ihn verlieben. Anthony lächelt, hebt die Blumen auf, die sie ihm auf den Platz werfen und verbeugt sich – die Hand auf dem Herzen –, ohne eine Lady um ihre Gunst zu bitten.
«Ich kannte ihn schon, als er nur mein Onkel war», bemerkt Thomas.
«Er ist der Liebling aller», sage ich zu meinem Vater, als er in die königliche Loge tritt, um meine Hand zu küssen.
«Was denkt er sich bloß?», will er verwundert von mir wissen. «Zu meiner Zeit haben wir unsere Gegner getötet und keine Gedichte über sie gemacht.»
Anthonys Ehefrau Elizabeth lacht. «So macht man es in Burgund.»
«Wir leben in galanten Zeiten», erkläre ich meinem Vater und lache über seine Verwunderung.
Aber der Held des Tages ist Lord Thomas Stanley, ein gutaussehender Mann, der, erfreut über den Sieg, mit hochgeklapptem Visier seinen Preis abholen kommt. Auf seiner Standarte prangt stolz das Motto seiner Familie:
Sans changer
.
«Was heißt das?», fragt Richard leise seinen Bruder.
«Ohne sich zu ändern», gibt Thomas zurück. «Das wüsstest du auch, wenn du deine Zeit mit Lernen verbringen und sie nicht nur vertrödeln würdest.»
«Ändert Ihr Euch nie?», frage ich Lord Stanley. Er sieht mich an – die Tochter einer Familie, die sich vollkommen verändert hat, von einem König zum anderen übergelaufen ist, eine Witwe, die zur Königin geworden ist – und verneigt sich. «Ich ändere mich nie», antwortet er. «Ich setze mich für Gott, den König und meine Rechte ein, in dieser Reihenfolge.»
Ich lächle. Zwecklos, ihn zu fragen, woher er weiß, was Gott will, wie er den rechtmäßigen König erkennt und wie er sich sicher sein kann, dass seine Rechte billig sind. Das sind Fragen für Friedenszeiten, und unser Land hat für solche komplizierten Fragen zu lange Krieg geführt. «Ihrseid ein großer Mann auf dem Turnierplatz», bemerke ich.
Er lächelt. «Ich hatte nur Glück, nicht gegen Euren Bruder Anthony aufgestellt zu werden. Aber ich bin stolz, vor Euren Augen gekämpft zu haben, Euer Gnaden.»
Ich beuge mich aus der königlichen Loge hinunter und überreiche ihm den Preis des Turniers, einen Rubinring. Er zeigt mir, dass er für seine Finger zu klein ist.
«Ihr müsst eine schöne Lady heiraten», necke ich ihn. «Eine tugendhafte Frau, die mehr wert ist als Rubine.»
«Die ausgezeichnetste Lady des Königreiches ist bereits verheiratet und gekrönt.» Er verbeugt sich vor mir. «Wie sollen wir, die wir nicht berücksichtigt wurden, nur unser Unglück ertragen?»
Darüber lache ich. Das ist die Sprache meiner Burgunder Verwandtschaft, die die hohe Kunst des Flirtens beherrscht. «Ihr müsst weiterhin bestrebt sein», sage ich. «Ein beeindruckender Ritter wie Ihr sollte ein großes Haus gründen.»
«Ich werde ein großes Haus gründen, und Ihr werdet mich wieder siegen sehen», verspricht er, und bei seinen Worten verspüre ich einen leichten Schauder. Dieser Mann ist nicht nur auf dem Turnierplatz stark, denke ich, dieser Mann ist auch auf dem Schlachtfeld stark. Dieser Mann kennt keine Skrupel, wenn er seine Interessen verfolgt. Beeindruckend, in der Tat. Wir können nur hoffen, dass er seinem Motto treu und dem Haus York gewogen bleibt.
Als die Göttin Melusine sich in den Ritter verliebte, versprach er ihr, sie könne sie selbst sein, wenn sie ihn nur heirate. Sie einigten sich, dass sie seine Frau sein und auf Füßen gehen würde,
doch einmal im Monat dürfe sie in ihrem eigenen Gemach ein großes Bad mit Wasser füllen und eine Nacht lang ihr fischiges Selbst sein. So lebten sie viele Jahre sehr glücklich. Denn er liebte sie und verstand, dass eine Frau nicht immer leben kann wie ein Mann. Er verstand, dass sie nicht immer denken konnte, wie er dachte, gehen konnte, wie er ging, die Luft
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