Die Königin der Weißen Rose
machen.
Der jüngste der drei Brüder, Richard, Duke of Gloucester, ist mit seinen siebzehn Jahren ein hübscher, schmächtiger Junge. Er mag das Nesthäkchen der Familie sein, doch er war nie ihr Liebling. Von den dreien sieht nur er seinem Vater ähnlich. Er ist dunkel und zartgliedrig, ein kleiner Wechselbalg neben den schwerknochigen, gutaussehenden Yorks. Er ist ein frommer junger Mann, nachdenklich;die meiste Zeit verbringt er in seinem prächtigen Haus im Norden von England, wo er ein asketisches und pflichterfülltes Leben führt. Er findet unseren prächtigen Hof peinlich, als würden wir uns an einem christlichen Festtag selbstherrlich als Heiden feiern. Ich schwöre, er sieht mich an, als wäre ich ein gieriger Drache, der einen Schatz bewacht, und keine Meerjungfrau in silbrigem Wasser. Vermutlich betrachtet er mich mit ebenso viel Verlangen wie Angst. Er ist ein Kind, das sich vor einer Frau fürchtet, die er nie verstehen wird. Neben ihm wirken meine Grey-Söhne, die nur wenig jünger sind als er, weltklug und fröhlich. Sie laden ihn immer wieder ein, mit ihnen auf die Jagd zu gehen, in den Bierschenken zu trinken, maskiert auf den Straßen herumzukrakeelen, doch er lehnt jedes Mal ab.
Die Nachricht von unserem Weihnachtsfest breitet sich rasch in der ganzen Christenheit aus. Der neue Hof in England, heißt es, ist der schönste, eleganteste, manierierteste und geschmackvollste Hof in Europa. Edward ist fest entschlossen, den englischen Hof von York so berühmt wie Burgund zu machen für Mode, Schönheit und Kultur. Er schätzt gute Musik, und bei den Mahlzeiten werden wir von einem Chor oder anderen Musikern unterhalten. Meine Damen und ich lernen die Gesellschaftstänze und erfinden eigene. Anthony, mein Bruder, steht uns dabei mit Rat und Tat zur Seite. Er hat Italien bereist und spricht von der neuen Gelehrsamkeit und den neuen Künsten, von der Schönheit der antiken Stätten in Griechenland und von Rom und von der Wiederbelebung der klassischen Künste und Studien. Er spricht mit Edward darüber, Maler, Dichter und Musiker aus Italien anzulocken und unseren Wohlstand zu nutzen, um Schulen und Universitäten zu gründen. Er spricht über neue Wissenschaften, über Arithmetik und Astronomie und über alles Neue undWunderbare. Er berichtet von einer Rechenart, die mit der Zahl Null beginnt und versucht zu erklären, wie das alles verändern wird. Er erläutert eine Wissenschaft, die Entfernungen berechnen kann, die nicht messbar sind: Er sagt, es sei möglich, die Entfernung zum Mond zu errechnen. Elizabeth, seine Frau, sieht ihm schweigend zu und bemerkt nur, er sei ein Magus, ein weiser Mann. An unserem Hof herrschen Schönheit, Anmut und Gelehrsamkeit, und Edward und ich tragen sehr viel dazu bei.
Ich staune über die Kosten, die ein solcher Hof verursacht. All diese Schönheit hat ihren Preis. Neben den Kosten für Lebensmittel sind da auch noch die ständigen Forderungen der Höflinge, die eine Audienz wollen, ein Haus, ein Stück Land oder einen Gefallen, einen Posten, auf dem sie Steuern erheben können, oder sie brauchen Hilfe bei der Durchsetzung eines Erbschaftsanspruchs.
«So ist es, wenn man König ist», sagt Edward, als er die letzte Petition für diesen Tag unterzeichnet. «Als König von England besitze ich alles. Jeder Herzog und Graf und Baron besitzt seine Ländereien durch meine Gunst, jeder Ritter und Landjunker bekommt ein Bächlein ab vom großen Fluss. Jeder unbedeutende Landwirt, Pächter, Zinslehenbesitzer und Bauer hängt von meiner Gunst ab. Ich muss Wohlstand und Macht verteilen, damit die Flüsse in Bewegung bleiben. Und wenn es schiefläuft – beim geringsten Anzeichen dafür, dass es schiefläuft –, wird jemand sagen, er wünschte, Henry säße wieder auf dem Thron, in den alten Tagen sei alles besser gewesen. Oder er denkt, dessen Sohn Edward oder George wären viel großzügiger. Oder, bei Gott, irgendwo taucht ein neuer Anwärter auf den Thron auf – Margaret Beauforts Sohn Henry, lasst uns zur Abwechslung den Lancaster-Jungen zum König ausrufen –, vielleicht bringt er noch mehr Bewegung in die Flüsse. Ummeine Macht zu erhalten, muss ich meine Gunst sorgsam bemessen und vorsichtig portioniert in Umlauf bringen. Ich muss alle erfreuen, aber niemanden zu sehr.»
«Das sind doch alles nur geldgierige Bauern», sage ich gereizt. «Und ihre Loyalität liegt immer da, wo ihre Interessen sind. Sie denken nur an ihre persönlichen Bedürfnisse. Schlimmer
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