Die Königin ist tot: Roman (German Edition)
verkündet, er mache Zaubertrank. Potion, sagt er, und
Double, double,
Fire bubble
Das mit den Zweizeilern hat er von mir.
(Duncan stoppt den Lift knapp über dem 46. Stock, und mit der Eichel eines alten Mannes, so sah ich das damals, sechsundzwanzigjährig, in der Kehle, dort, wo die tiefen Laute entstehen, dachte ich über die Freiheit des menschlichen Willens im allgemeinen und im besonderen nach und kam zu keinem speziellen Schluss, wie denn auch, die Vorstellung, jeden Moment die Stimme des Portiers durch die Gegensprechanlage zu hören, machte mich nervös, doch es kam kein Ton, ich versuchte, mich auf meine rhythmische Tätigkeit zu konzentrieren; als es mir schließlich angebracht schien, das Tempo zu steigern, spannte sich Mr. Duncans Körper plötzlich, und ich blickte hoch, doch er sagte nur, ich solle mich nicht stören lassen, und streckte den Arm aus, um die Steuerleiste zu erreichen und die Kabine wieder losfahren zu lassen, was mich kurzfristig aus dem Takt brachte. Dennoch schaffte er es noch vor dem Erreichen der Zahl 68, mir in den Mund zu spritzen, und das schien ihn mit Stolz zu erfüllen. Ich erhob mich, wischte mir die Lippen ab und schluckte nach kurzen hygienetechnischen Bedenken, doch die, das sah ich ein, kamen zu diesem Zeitpunkt ohnehin zu spät. Er bot mir ein Glas Wein an, zum Nachspülen, und so kam ich zum ersten Mal in seine Wohnung, und die ging tatsächlich über alle drei Gebäudesegmente, riesenhafte Räume, deren geschwungene Glasverkleidung über das Meer hinausragte. Ich weiß, es ist kein Meer, doch ich nenne es so.)
Ich will meinem Sohn sagen, dass das nicht stimmen kann, dass Feuer keine Blasen wirft. Doch er ist so fasziniert von seiner Tätigkeit, dass ich es nicht über mich bringe, ihn zu stören und zu zwingen daraus aufzutauchen, und außerdem, denke ich, dass es auch nicht der Kessel ist, der blubbert und Blasen wirft, sondern die Flüssigkeit darinnen, ich schweige und sehe ihn an, wie er mit noch kindlich runden Handrücken in seinem Trank rührt, und mir geht das Herz auf. Ich spüre am ganzen Körper eine Liebe, wie man sie, das weiß ich, nur für ein Kind haben kann, so bodenlos und grenzenlos und ohne jede Bedingung. Und dabei schon so voller Trennungsvorahnungen: dieses Kind wirst du verlieren, so wie noch alle Eltern ihre Kinder verloren haben, es geht seiner Wege, es hört einfach auf damit, Kind zu sein, und so verlierst du es in jedem Fall, und diese vorweggenommene Verlustangst mischt sich wehmütig ein in das Liebesgefühl und macht es noch heftiger. Ich sage es ja, ich misstraue meinen Gefühlen und lagere sie gerne in sicheren Behältern.
Zaubertrank, sage ich, er dreht sich um, ein tropfendes Apfelstück in der Hand. Saubertank, sagt er nachdenklich. Noch kann ich mich verständigen mit dem eigenen Kind. Das wird sich ändern, die Verständigungsmöglichkeit hat ein Ablaufdatum, seine Sprache wird sich irgendwann endgültig von der meinen entfernt haben. Sauberer Tanker, sage ich. Panzer, eher.
Vom Obstwaschen kann er gar nicht genug bekommen. Ich sitze da weiterhin und lasse ihn an meinem offenen Herzen hantieren, und erst als das Kindermädchen energisch einschreitet und meint, das sei schlecht für die Haut (wo Feuer sehr wohl Blasen werfen kann), und überhaupt, das Kind werde gleich vom Stuhl fallen, sehe ich, dass sich das gegen mich richtet und dass sie mir sagen will, ich sei eine verantwortungslose Aufsichtsperson. Bin ich auch. Es ist nämlich nicht meine Aufgabe, eine verantwortungsvolle Aufsichtsperson zu sein, und ich versuche, diesen Sachverhalt dem Kindermädchen auseinanderzusetzen, aber sie hört gar nicht zu.
Und nicht nur deshalb wechsle ich Kindermädchen regelmäßig aus. Zuwendung muss man wohl dosieren, überhaupt die der anderen. Sonst wachsen sich die Bindungen zu ungesunder Bedeutung aus, ich weiß das aus eigener Erfahrung. Am eigenen Leib habe ich alles gekappt, was mich festhalten und in mir eine warme Sehnsucht nach dem Verweilen wuchern lassen könnte: überschüssige lichtscheue Unterholztriebe.
10
Alexander traf ich zum ersten Mal bei einer Feierlichkeit, was dabei eröffnet oder unter Umständen auch beendet werden sollte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls befanden wir uns im klimatisierten Inneren eines Gebäudes von spektakulärer Architektur, selten hielten wir uns woanders auf. Den Transfer zwischen den Schauräumen und Wohnsalons absolvierten wir in Autos, deren abgedunkelte Scheiben die
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