Die Königin ist tot: Roman (German Edition)
beiläufig, und doch auch wieder nicht, denn Duncan überließ selten etwas dem Zufall. Die Nichtzufälligkeiten setzte er allerdings kaum je bewusst, da leitete ihn sein Instinkt: Übertriebenes Nachdenken schadet der Wirkung. Ich starrte also auf Duncans Hand, an deren Außenseite die Adern wie Kabelstränge hervortraten, eine Strukturierung, die mir immer kraftvoll und anziehend erschienen war, denn Schönheit findet sich durchaus im Detail, wenn man sie finden möchte, und ich dachte daran, dass das 46. Stockwerk (unumkehrbar übrigens, spiegelverkehrt ohne Bedeutung) mir doch was sagt. Immer schon ein wenig früher ansetzen, auflaufen lassen: gut. Ich laufe glatt auf, was Besseres habe ich nicht zu tun.
Er weiß, wie er mich kriegt, und mir fährt heiß die Scham durch Mark und Bein (so sagt man das und so stelle ich mir das vor: ein Brodeln im Inneren der Röhrenknochen), wenn ich an den Moment denke, in dem der Portier Jeremias, Herr über die Empfangshalle, mir zu verstehen gab, dass er und Peter gesehen hatten, was im Lift passiert war. Das hätte ich berücksichtigen müssen, was dachte ich eigentlich? Nichts, oder vielmehr, dass Duncan nicht nur über den Lift gebieten konnte, der in das nur mit Geheimcode zugängliche und ganz und gar Duncan gehörende 68. Stockwerk fuhr, sondern auch über das Sicherheitssystem? Irgend so etwas musste ich wohl angenommen haben, und dass das ein Fehler gewesen war, begriff ich schlagartig, als ich hilflos versuchte, etwas zu sagen, das Jeremias’ finstere Miene auflösen hätte können. Übrigens ist Jeremias nicht mehr da, ein neuer alter Mann thront hinter dem Empfangstresen, warum sie dafür immer Alte nehmen? Wegen des Anscheins von Seriosität wahrscheinlich, Alter hat ja meist so was Vertrauenerweckendes. So auch bei Jeremias, und ich glaube, dass Jeremias mich im Grunde mochte.
Trotz der ganzen Zeit, die seither vergangen ist und in der ich nicht mehr an den Turm gedacht habe, trotz unseres gemeinsamen Lebens in dem Haus am Meer kann Duncan mich mit einer einzigen kleinen Geste zurückkatapultieren in diese Szene, die ich vergessen möchte und auch wieder nicht. Ich lächle spielerisch in Richtung des schwarzglänzenden Kameraauges.
Da rufe ich lieber Peters Bild auf. In meiner Erinnerungsgeschichte kann ich wandern (ruhelos umgehen), wie ich will. Unter anderen Umständen, da bin ich mir sicher, hätte Peter mir gefallen können, weil ich einmal neben ihm gearbeitet haben könnte zum Beispiel, bei der Tür, nein, als Liftmädchen, das entspricht eher dem Einsatzgebiet weiblichen Personals, und überhaupt, immer schön lächeln und nicken, das müsste im Bereich meiner Möglichkeiten liegen. Aber das stimmt natürlich nicht, das ist alles nicht wahr. Und einmal, nach der Liftszene (Duncan und ich ganz allein im verspiegelten Fahrkorb, ich auf den Knien vor der geöffneten Mittelnaht: die Position unrühmlich und unbequem) hätte Peter mich vielleicht in die Ecke gedrängt, als wollte er etwas von mir, und was er wollte, war doch nichts anderes als seiner Verachtung Ausdruck verleihen: das Knie zwischen meine Beine und die Hand gegen die Brust gepresst, mein Rücken gegen die abwaschbare Wand der Unterwelt (die unterirdischen Turmstockwerke bleiben den Engerlingen vorbehalten, denen mit und vor allem denen ohne Uniform, die meisten von ihnen schwarz wie die Wächter der Lobby, die Fluchtwegssicherheitsleuchten wie Brotkrumen, die eingesammelt werden und möglicherweise aufgezehrt sind, bevor der glückliche Ausgang erreicht ist), die grobkörnige Oberflächenstruktur der Wand gegenüber streut ein vages Neonlichtflimmern zurück, dann die Abstandnahme, die hellen Handinnenflächen leuchten: Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mich mit so was wie dir abgebe. Nichts als Neid, denke ich heute. Die Liftszene wäre aber echt gewesen.
Die war echt und in gewisser Weise der Beginn des ernsthaften Teils meiner Beziehung zu Duncan, Mr. Duncan, der sagte, tu doch was für mich, und dann hielt er den Lift an, knapp über Nummer 46, erklärte mir, dass der Lift, einmal auf den 68. Stock eingestellt, auf kein äußeres Knopfdrücken mehr reagiere. Zurück zum Anfang, fragt sich nur, was ein Anfang ist, ein quellartig ausgezeichneter Ort? Und wie soll man den finden in so einem Erinnerungsknäuel? Muss man aber, wenn man erzählungsgläubig ist, damit man am Ende so was wie einen Handlungsfaden in der Hand halten kann, der Anfang und Ende in eine eindeutige Beziehung
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