Die Königin ist tot: Roman (German Edition)
Schattenwelt zwischen den Hochhausrümpfen verhüllten. Wir wählten appetitlos aus akkurat angerichteten Kleinigkeiten und tranken sicherlich irgendwas Passendes. Die Umhüllung der Stehtischchen ergänzte die Wandgestaltung: überfälliges Rokoko. Vermutlich betrachteten wir Ausstellungsgegenstände und Beleuchtungskörper. Und dass Reden gehalten wurden, ist anzunehmen. Von Alexander möglicherweise; er sprang mir nicht sofort ins Auge, der Typ ist er nicht, nur sein volles dichtes dunkles Haar fiel mir auf, dicht sogar am Hinterkopf, vor allem dort, und das führte dazu, dass ich ihn zunächst für jünger hielt, als er war, und das ließ mich genauer hinsehen: Wenn Duncan ihm in diesem Alter eine solche Rolle (Kronprinzenrolle) zugedacht hatte, musste was an ihm dran sein. Tatsächlich war er zu diesem Zeitpunkt Ende dreißig, doch das erfuhr ich erst später.
Er drehte sich um, als Duncan ihn rief, und sein Blick wanderte beiläufig über mich, streifte die neuralgischen Stellen, als wäre ich nicht weiter der Beachtung wert. Vielleicht war ich das ja auch nicht. Dennoch tut Resonanzmangel weh, wenn man es gewohnt ist, Interesse zu erregen. Und sicher nicht nur dann, doch das kann ich nicht beurteilen. Später begriff ich, dass seine Aufmerksamkeit auf nur ein Ziel gerichtet war, auf Duncan, und solcherart fokussiert hatte er keinerlei Wahrnehmungskapazitäten frei. Mittlerweile sehe ich das durchaus als Qualität. Er kam langsam auf Duncan zu, schüttelte ihm die Hand, wartete, bis ich an der Reihe war und bedachte mich mit einem strahlenden Lächeln, das an einer Seite leicht verrutschte, was ihm eine unmittelbare Note verlieh (heute frage ich mich, ob er das absichtlich herbeiführen kann, selten ist dieses Detail geworden, das jedenfalls), und doch konnte ich das Lächeln nicht halten. Er vertiefte sich in ein Gespräch mit Duncan. Diese zielorientierte Unterwürfigkeit: da erkennt man gleich den Fachmann, und wenn ich etwas zu bewundern bereit bin, dann ist es Könnerschaft, die Expertise auf dem Gebiet der nonverbalen Kriegsrhetorik. Ich begutachtete Alexander, der meinen Blick offenkundig spürte, so angestrengt wich er ihm aus, und dabei rötete sich der frisch rasierte Hals.
Es wäre übertrieben zu sagen, dass ich da schon ein Mittel sah, denn noch hatte ich keine Ahnung von dem Zweck, den ich verfolgen könnte, ich sah Potential, ich sah Willen und Unterordnung der gesamten Handlungspalette unter diesen Willen, und das gefiel mir. Dabei entging mir allerdings, dass die beiden mich ganz allmählich an den Rand der Dreieckskonstellation drängten, kleine Veränderungen der Körperhaltung, Standbein-Spielbein-Wechsel, die von einer ein wenig eckigen Schulterdrehung begleitet wurden, wobei mich die Kante eines feingewebten Ärmels frontal in Brusthöhe berührte, mich konfrontierte, wie mir schien. Doch Alexander tat so, als hätte er es nicht bemerkt, und schon sah ich mich ausgeschlossen neben zwei Männern stehen, die sich ganz einander widmeten, der eine davon mit leicht schräggestelltem Kopf so zustimmungsbereit, dass es peinlich war. Zumindest mir.
Was blieb also: zurückweichen, was einfach war. Ich entfernte mich und überlegte, zu wem ich mich stellen könnte, wo Andocken und Anknüpfen möglich wäre. Doch der einzige, der mir bekannt vorkommt, ist einer der Leibwächter, und nicht einmal bei dem bin ich mir sicher. Vielleicht will ich ihn nicht kennen.
Wissen Sie, sagt eine Stimme hinter mir, für ihn rollt man ja immer den roten Teppich aus, ich drehe mich um, aus den Augenwinkeln sehe ich Alexander, der sich von Duncan gelöst hat, und ich lächle sicherheitshalber die Umstehenden an, die ich nicht kenne. Er braucht das, sagt eine Frau mit üppigen langen rotgefärbten Haaren, und wo bleibe ich? Und der Mann an ihrer Seite sieht betreten drein, mindestens so betreten wie der zweite Mann in der Runde, und vielleicht ist auch er derjenige, von dem sie spricht, wer will das sagen, ich kehre der Gruppe rasch den Rücken zu und gehe weiter; ich könnte aus dem Fenster steigen, wenn sich ein Fenster öffnen ließe. Nur ein Schritt ins Freie, so einfach wäre das, und so sehr sehne ich mich auf einmal nach dieser Möglichkeit. Dabei geht es mir nicht schlecht, man könnte sagen, dass ich am Ziel dessen bin, was ich einmal für meine Wünsche gehalten haben muss. Erst später begreife ich, dass die Frau den Satz auf Deutsch von sich gegeben hat. Doch das Verfolgen dieser Fährte ist mir zu
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