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Die Königin ist tot: Roman (German Edition)

Die Königin ist tot: Roman (German Edition)

Titel: Die Königin ist tot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Flor
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setzt, in eine Ursache-Wirkungsbeziehung, aber wer glaubt denn so was noch. Die Freiheit hatte jedenfalls ihren aufreizenden Geschmack verloren.
    Und nun, auf dem Weg in ein anderes Leben (nach oben), sah ich wieder Duncans Hand, und sie griff diesmal nicht nach dem Notschalter, der den Lift zum Stehen bringen könnte. Der Anfang, dachte ich: dass das Wasser gestiegen ist und mich mitgenommen hat, könnte man sagen, mich hochgespült hat wie Dreck aus dem Überlaufbereich von Abflussrohren; man könnte auch sagen, dass das Ansteigen des Wassers erst zur Kenntnis genommen wurde, als es nicht mehr nur so unbedeutende Drittweltgegenden verschlang, sondern richtig zivilisierte Landstriche. Wobei im Fall der Drittweltgegenden, nebenbei bemerkt, der Bevölkerungsdruck auf diese natürliche Weise ein wenig reguliert wird. Es ließe sich auch so ausdrücken, dass ich auf dem Rücken eines Stiers dahergekommen bin, auf dem Rücken eines zähen Stiers mit gepflegtem weißen Fell. Und es ist nicht so, dass der Stier nicht gefragt hätte. Man wird immer irgendwie gefragt, auch wenn es vorkommen kann, dass man es erst bemerkt, wenn die Antwort längst gegeben ist. (Wen es nicht selbst erwischt, der filmt eben das Pech der anderen: das macht das eigene Überleben umso sicherer, man könnte sonst daran zweifeln.)
    Jedenfalls ist der Augenblick an mir vorübergerauscht, unhaltbar wie der, in dem die Ziffern über der Lifttür umspringen. Das Haar vor mir ist weiß, und ich habe gelernt, mich daran festzuhalten. (Wir sind wohl darauf konditioniert, als hätten unsere Eltern gesagt, warte ab, bis einer mit ausreichend Stoff in den Füllhörnern daherkommt, und dann pack zu! Ist väterlicher Auftrag, vermittelt durch die Mütter, so war das immer. Und dann halt nicht zu zimperlich sein.)
    Ich strahle Duncan an. Ich bin nicht zimperlich. Er durchkämmt die Haare mit den Fingern, lockert den wurzelnahen Bereich auf und schichtet die Strähnen mit einer automatisierten Bewegung über die dünner bewachsenen Stellen; dabei ist die Dichte insgesamt durchaus noch ansehnlich. Und Königstöchter können es sich nicht erlauben, zimperlich zu sein. Was immer man ihnen auch andichtet. Ich verfüge nämlich über eine ganze ungefilterte Persönlichkeit, sage ich zu Duncan, vielleicht um mein Gegrinse zu erklären, möglicherweise auch einfach so. Er zieht die rechte Augenbraue hoch, nein, die linke selbstverständlich, und der Ausdruck des Zweifels wird spiegelverkehrt erst recht zur Fratze. Ich greife nach seinem Gesicht, um ihn dazu zu bringen, sich ganz direkt mit mir zu konfrontieren. Ich folge der Kieferkante unter den sich aufstauenden Hautschichten mit der weichen Handinnenseite, mit den Fingern der blassen Haut um die nun geweiteten Nasenlöcher, deren Schwung ich von Anfang an gelungen fand: von strenger Eleganz vielleicht, könnte man sagen, und die Haarbüschel akkurat in Form gebracht. Manchmal sehe ich eines der beiden Augen, deren Pupillen das Meerwasser schwimmen lässt, so dass ich schwer sagen kann, wohin sie sich richten. Meerwasser, ich träume, wo soll hier Meerwasser herkommen. Vertrauenswürdige Augen, so scheint es. Und nur unter Aufbietung aller Bösartigkeit könnte man ihren Ausdruck als kuhäugig bezeichnen. Ach was. Übertriebenes Nachdenken schadet der Wirkung, weiß ich doch. Sagt er immer, und der 61. Stock gleitet vorbei. Die Aufwärtsbewegung wird allmählich eingebremst, wir wollen ja nicht das Dach durchstoßen.

2
    Die sicherheitstechnisch bedingte Dokumentation der Liftszene tauchte natürlich irgendwann im Internet auf. Interessanterweise erst einige Zeit nach der Scheidung. Auch wenn man darauf nicht viel mehr erkennen konnte als eine Frau, die in einem glasverkleideten Raumwinkel vor einem an der Wand lehnenden Mann kniet, schräg von oben aufgenommen, so dass auch nicht der geringste Ausschnitt eines möglicherweise Anstoß erregenden Körperteils darauf zu erkennen war (wobei der selbst, sicher geborgen im letzten Winkel meiner Mundhöhle, sich entgegen meinen anfänglichen Befürchtungen jung anfühlte, sauber, die Haut glatt und weich am Gaumen, wird ja auch eher selten schädigender Sonnenstrahlung ausgesetzt, so hatte ich Gelegenheit, über die Freiheit meiner Handlungen nachzudenken, und die Freiheit, wie gesagt, hatte ihren aufreizenden Geschmack verloren). Selbst die Spiegelungen gaben kaum was her. Ich hatte ganz recht: die Sache hätte sich von alleine totgelaufen, doch wir – und dieser Begriff

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