Die Königin von Theben
sie keine Lust mehr zu kämpfen?«
»Es sind schon zu viele Jahre vergangen, Ahotep. Sie sind davon überzeugt, dass wir es nie wagen werden, die Hyksos anzugreifen. So sehr sie bereit sind, hart zu üben, verlangen sie auch nach besserer Bezahlung.«
»Hast du versucht, ihnen ins Gewissen zu reden?«
»Normalerweise gelingt es mir immer, sie zu beruhigen. Aber diesmal bin ich gescheitert.«
»Verstehen sie denn nicht, dass ihre ganze Anstrengung sehr bald von Erfolg gekrönt sein wird?«
»Qaris hat mir gesagt, dass auch in den Garnisonen von Edfu und Nekheb Protest laut geworden ist. Es ist zu Ende, Ahotep … Wir haben nicht mehr die Mittel, um den Widerstand fortzuführen. In ein paar Tagen müssen wir den geheimen Stützpunkt aufgeben.«
Ahotep verließ den Palast mitten in der Nacht. Es gelang ihr, die eigenen Wachen zu täuschen, sie durchquerte die schlafende Stadt und lief eilig weiter bis zum Rand der bestellten Felder.
Dort, wo das Reich der Wüste begann, hielt sie inne.
Der Herr der Wüste war Seth, und dieser Gott konnte in jedem Augenblick Kräfte von solch barbarischer Grausamkeit entfesseln, dass niemand in der Lage wäre, sich ihnen zu widersetzen. Es gab wirklich schreckliche Ungeheuer dort, und kein vernünftiger Ägypter hätte sich in diese feindselige Gegend gewagt ohne den Schutz des Sonnengottes, der einzig die Kraft hatte, die bösen Wesen fernzuhalten.
Doch Ägypten befand sich im festen Griff der Finsternis, und Ahotep musste sich ihr entgegenstellen, um sie gründlich kennen zu lernen und ihr wenigstens einen Teil ihrer Macht zu nehmen.
Die junge Königin verließ die Welt der Menschen und betrat die Wüste, während sie unablässig die Worte und Sprüche der Weisen hersagte. Ja, dies war das Reich der Gefahr, aber es war auch das Land der Berge, in deren Inneren sich Gold und wertvolle Steine verbargen. Gab es nicht mitten im Unglück auch ein verstecktes Glück zu entdecken?
Ahotep ging in einem ausgetrockneten Bachbett weiter, mit regelmäßigen Schritten, gleichmäßig atmend. Sie trug Ledersandalen, um Verletzungen an den Füßen zu vermeiden, und dank des Mondlichts konnte sie die Unebenheiten der Landschaft gut erkennen.
Um sie herum leises Knistern und Knacken, Pfeiftöne. Ein Fels brach, und kleine Steine stürzten einen Hang hinab. Zum Lachen der Hyänen gesellte sich das Schreien der Eulen, und eine lange Schlange querte in trägem Zickzack den Weg des Eindringlings.
Ahotep folgte ihrem Instinkt, der ihr befahl, weiterzugehen, noch weiter. Ihre Schritte wurden leicht, die Müdigkeit verflog.
Sie gelangte zum Eingang eines schmalen, von bedrohlich steilen Hängen gesäumten Tals. Wenn sie diesen Engpass überwand, schien sie auf immer abgeschnitten von der Welt.
Doch sie überwand ihn und stieg hinab in die tiefste Finsternis, denn das sanfte Licht ihres Schutzgottes reichte nicht bis zum Boden des Abgrunds.
Ein großer Mann erschien, mit hässlichem Gesicht und vorspringender Nase. Er schien in einem hellen Rot zu strahlen und trug einen gelblich glänzenden, heimtückisch schimmernden Dolch, und er ging angriffslustig auf sie zu.
König Apophis … Ja, er war es wirklich, dieser Feigling, der das ägyptische Volk versklavte, dieser Tyrann, gegen den zu kämpfen sie sich geschworen hatte!
Ahotep wich nicht zurück. Sie würde ihren Schwur nicht brechen, auch wenn sie unbewaffnet war!
Sie hob einen Stein auf und schleuderte ihn gegen ihn, aber anscheinend verfehlte er sein Ziel.
Sie warf noch zweimal und war sicher, dass sie ihn getroffen hatte, doch konnte sie ihn nicht daran hindern, weiter auf sie zuzukommen; es gelang ihr nicht einmal, ihm einen Schrei zu entlocken.
Ein Geist … Es war nur ein Geist, ein Ungeheuer aus dem Reich der Finsternis, das gekommen war, sie zu verschlingen!
Eine Flucht war unmöglich.
Da die Steine durch ihn hindurchgeflogen waren, würde auch sie durch ihn hindurchgehen.
Als der Geist nur noch einen Meter von ihr entfernt war, stürzte sich Ahotep mit gesenktem Kopf auf ihn.
Sie hatte das Gefühl, in einen Glutofen einzutreten, deren Flammen mit ungeheurer Gewalt ihr Fleisch aufzehrten. Kurz bevor sie das Bewusstsein verlor, nahm sie einen fernen weichen Schimmer wahr, auf den sie sich mit ihrer ganzen Willenskraft konzentrierte.
Der ferne Schimmer wurde größer. Gleichzeitig nahm der Schmerz ab. Eine orangefarbene Kugel bildete sich und vergrößerte sich so schnell, dass die Nacht bald besiegt war. Ein neuer Tag war
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