Die Königin von Theben
ausgestoßener Schrei »Theben!« war weithin zu hören.
Die Scharfrichter sammelten Köpfe und Leichen ein, um sie den Geiern zu überlassen. Kein Ägypter hatte mehr das Recht auf Mumifizierung, und sei sie noch so schlicht.
»Hast du das gesehen?«, sagte der Schnauzbart, der seine Tränen kaum zurückhalten konnte. »Die Hyksos sind noch wilder als die Raubtiere der Wüste … Keinem wird es gelingen, sie zu besiegen.«
»Lass dich nicht von deiner Verzweiflung überwältigen«, riet der Afghane, der mit seiner kleinen Gruppe die Schlächterei mitangesehen hatte. »Für den Moment sind sie die Stärksten; aber sie haben notwendigerweise auch ihre Schwachpunkte.«
»Hast du nicht gesehen …«
»Es war notwendig, dem Schrecklichen zuzusehen. Wir müssen härter werden und dürfen nie vergessen, dass wir selbst jede Sekunde bedroht sind.«
»Das sagst du, Afghane, aber ich bin kein Krieger!«
»Ich schon. Und du wirst auch einer werden. Ich will reich werden; du willst die Deinen rächen und die Invasoren aus dem Land jagen. Wir haben die gleichen Interessen, das ist das, was zählt.«
Ohne jede Gemütsbewegung säuberten die Diener des Sethtempels mit Eimern voll Wasser den blutbefleckten Vorhof.
Die verdrossene Miene des Leibarztes verriet der Königin sofort, dass er sich immer noch nicht zu helfen wusste.
»Ich bin untröstlich, Majestät … Aber der Fall der Prinzessin fällt nicht in mein Ressort.«
»Hast du die Priester von Karnak zu Rate gezogen?«
»Sie wiederholen nur immer wieder, dass Eure Tochter äußerst unvorsichtig gewesen sei.«
»Gibt es denn kein Heilmittel gegen die Zauberkraft der Göttin?«
»Ich kenne keines.«
»Wenn Ahotep keine Nahrung zu sich nimmt, wird sie sterben!«
»Die Konstitution der Prinzessin ist von außerordentlicher Robustheit …«
»Vielleicht kann ein Magier diese Lethargie durchbrechen!«
»Lasst Euch bloß nicht mit Scharlatanen ein, Majestät. Ihr müsst Euch der Tatsache beugen, dass unsere Wissenschaft nicht in der Lage ist, die Prinzessin zu heilen.«
»Verlasse sofort den Palast, du bist unfähig!«
Der Gekränkte verneigte sich steif und tat, wie ihm geheißen.
Lächler, der Hund, verweigerte ebenfalls jede Nahrung. Er blieb auf seinem Posten und ließ niemanden, nicht einmal Teti die Kleine, zu der wie leblos daliegenden jungen Frau.
»Euer Schlafgemach ist bereit«, verkündete Qaris, der Haushofmeister.
»Ich bleibe hier.«
»Majestät, Ihr müsst Euch ausruhen.«
»Ahotep könnte mich brauchen.«
»Soll ich ein Bett bringen lassen?«
»Ein Sessel genügt mir.«
»Majestät …«
Das Gesicht des Haushofmeisters zeigte verhaltene Erschütterung.
»Was ist los, Qaris?«
»Unter den Matrosen zirkulieren Gerüchte, dass sich in Auaris fürchterliche Dinge zugetragen haben sollen. Aber vielleicht wünscht Ihr, lieber nichts davon zu erfahren …«
»Sprich!«
10
I mmer, wenn Verzweiflung sie zu überwältigen drohte, griff Teti die Kleine zu ihren Schminkutensilien. Wenn sie ihre Tochter verlor, hatte sie nicht den geringsten Grund mehr, einen Kampf fortzusetzen, der völlig aussichtslos war – das bewies Qaris' Bericht.
Während sie sich zwang, an die seltenen Momente des Glücks zu denken, die ihr das Leben geschenkt hatte, entnahm die Königin einem ovalen Körbchen einen Kamm aus Holz, eine Frisiernadel aus Alabaster, ein Schminktüchlein und eine Muschel aus schillerndem Perlmutt, in der sie verschiedene Salben mischte. Heute gab es nur noch wenige erstklassige Schönheitsprodukte, für deren Herstellung die Tempelwerkstätten einst einen ganzen Monat brauchten.
Die von Teti bevorzugte Salbe bestand aus einer Mischung auf der Basis von zerstoßenem Bleiglanz; sie reinigte ihre Haut und schützte sie vor dem aggressiven Sonnenlicht, hielt außerdem Insekten fern und unterstrich die feinen Züge ihres ebenmäßigen Gesichts.
Früher hatten ihr bei der Körperpflege mehrere Zofen respektvoll und kenntnisreich zur Seite gestanden, eine war nur für das Schminken zuständig gewesen, zwei hatten sich um Maniküre und Pediküre gekümmert, eine weitere war für die Frisur verantwortlich gewesen. Heute aber musste sich Teti mit eigener Hand die Lippen mit rotem Ocker färben.
»Majestät … Kommt schnell!«
»Qaris! Wie kannst du es wagen …«
»Vergebt mir, dass ich hier eindringe, aber es handelt sich um die Prinzessin …«
Die Königin sprang auf.
»Ahotep … Nein, sie darf nicht sterben, sie ist zu
Weitere Kostenlose Bücher