Die Königliche (German Edition)
Stickerei. Der Fluss ist sein Knochenfriedhof. »Wir müssen die Knochen heraufholen«, sagte sie.
»Wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es an der Stelle Höhlen unter Wasser und der Fluss ist ziemlich tief, Königin. Es könnte schwierig werden.«
In Bitterblues Kopf schien eine Erinnerung auf wie ein Lichtstrahl. »Nach Schätzen tauchen«, murmelte sie.
»Königin?«
»Nach dem, was Saf mir mal gesagt hat, kennt er sich ein wenig damit aus, Dinge vom Meeresgrund heraufzuholen. Ich denke, das könnte er auf den Grund eines Flusses übertragen. Kann man so was in der Kälte machen? Er ist diskret«, fügte sie widerwillig hinzu, »zumindest, was Informationen angeht. In seinem Verhalten nicht ganz so.«
»Ich bin mir sowieso nicht sicher, ob hier Diskretion vonnöten ist, Königin«, sagte Giddon. »Die ganze Stadt weiß bereits über die Knochen Bescheid. Sie waren gerade entdeckt worden, als ich eintraf, und noch bevor ich meine Kontaktperson erreicht hatte, hörte ich schon mehrere Leute darüber reden. Wenn wir eine halbe Tagesreise von der Hauptstadt entfernt eine Knochensuchaktion starten, kann ich mir nicht vorstellen, dass das geheim bleibt.«
»Insbesondere, wenn wir beschließen, auch andere Stellen des Flusses abzusuchen«, sagte Bitterblue.
»Sollen wir das tun?«
»Ich glaube, das sind die Knochen von Lecks Opfern, Giddon«, sagte sie. »Und es muss auch hier in der Nähe des Schlosses welche im Fluss geben. Bo konnte sie nicht spüren, als er gezielt nach ihnen Ausschau gehalten hat, aber als er krank war und halluzinierte und seine Gabe anschwoll und sich verzerrte, wusste es ein Teil von ihm. Er hat mir gesagt, im Fluss schwämmen Tote.«
»Verstehe. Wenn Leck Knochen in den Fluss geworfen hat, können wir sie vermutlich auf der ganzen Strecke bis zur Mündung finden. Wie gut treiben Knochen?«
»Ich habe keine Ahnung«, entgegnete Bitterblue. »Vielleicht weiß Madlen das. Vielleicht sollte ich Madlen und Sapphire gemeinsam nach Silverhart schicken. Oh, meine Schulter tut weh und mein Kopf platzt gleich«, sagte sie, blieb im großen Schlosshof stehen und rieb sich die Kopfhaut unter den fest geflochtenen Zöpfen. »Ach, Giddon, wie sehr ich mir ein paar Tage ohne schreckliche Nachrichten wünschen würde.«
»Sie haben zu viele Sorgen, Königin«, sagte Giddon leise.
»Giddon«, entgegnete sie, betroffen von seinem Tonfall und beschämt, weil sie sich beklagte. Sie blickte ihm ins Gesicht und sah eine Verzweiflung in seinen Augen, die in seiner Stimme nicht zu hören war. »Vielleicht ist es nutzlos und wenig hilfreich, das zu sagen. Ich hoffe, ich trete Ihnen nicht zu nahe. Aber Sie sollen wissen, dass Sie in Monsea und an meinem Hof stets willkommen sind. Und wenn einer Ihrer Leute keine Arbeit hat oder aus welchem Grund auch immer das Bedürfnis verspürt, woanders zu sein, sind auch sie hier alle willkommen. Monsea ist kein perfekter Ort.« Sie holte tief Luft und ballte die Faust, um all die Gefühle zurückzudrängen, die bei dieser Erklärung in ihr aufstiegen. »Aber es gibt hier gute Menschen, und ich wollte, dass Sie das wissen.«
Giddon nahm ihre kleine geballte Faust in die Hand, hob sie an den Mund und küsste sie. Und in Bitterblue erstrahlte etwas – nur ein wenig – vom Zauber, zu wissen, eine kleine Sache richtig gemacht zu haben. Ach, wie schön wäre es, sich öfter so fühlen zu können.
Zurück im Schreibzimmer erklärte Darby ihr, dass Rood im Bett lag, wo er von seiner Frau gepflegt wurde und wahrscheinlich Enkel auf ihm herumhüpften, obwohl sich Bitterblue nicht vorstellen konnte, dass irgendetwas auf Rood herumhüpfte, ohne dass er zerbrach. Darbys Reaktion auf die Nachricht von den Knochen war alles andere als gut. Er tappte davon, und während die Stunden verstrichen, wurden sowohl sein Gang als auch seine Stimme etwas schwankend. Bitterblue fragte sich, ob er an seinem Schreibtisch trank.
Sie war bisher nie auf die Idee gekommen, herauszufinden, wo genau Thiels Räume lagen. Sie wusste nur, dass sie irgendwo im vierten Stock des Nordflügels waren, allerdings ganz offensichtlich nicht in Lecks Labyrinth. An diesem Abend fragte sie Darby nach der genauen Lage.
Im richtigen Flur fragte sie einen Lakaien, der sie mit Fischaugen anstarrte und dann wortlos auf eine Tür zeigte.
Leicht beunruhigt klopfte Bitterblue an. Eine Weile geschah nichts. Dann ging die Tür auf und Thiel stand vor ihr und sah auf sie herab. Das Hemd hing ihm über die Hose
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