Die Königliche (German Edition)
müsste, die ihr eigentlich helfen sollten?
Eine Königin war doch etwas Seltsames. Manchmal – vor allem während der wenigen Minuten täglich, die Madlen ihr erlaubte, Brotteig zu kneten – dachte sie darüber nach: Wenn Leck aus irgendeinem Land im Osten stammte und meine Mutter aus Lienid, wieso bin ich dann die oberste Herrscherin von Monsea? Wie kann ich das sein, ohne dass auch nur ein Tropfen Monsea-Blut in meinen Adern fließt? Und doch konnte sie sich nicht vorstellen, jemand anderes zu sein; ihre Königlichkeit war etwas, das sie nicht abspalten konnte. Sie war ihr so schnell zugeflogen, mit einem einzigen Dolchwurf. Bitterblue hatte den Körper ihres toten Vaters auf der anderen Seite eines Raumes gesehen und tief im Innern gewusst, was sie gerade geworden war. Sie hatte es laut ausgesprochen. »Ich bin die Königin von Monsea.«
Wenn sie die richtigen Leute fand, Leute, denen sie vertrauen konnte und die ihr halfen, könnte sie dann endlich den wahren Zweck einer Königin erfüllen?
Und was dann? Monarchie war Tyrannei. Das hatte Leck bewiesen. Wenn sie die richtigen Leute fand, die ihr halfen, gab es Möglichkeiten, auch das zu verändern? Konnte eine Königin mit der Macht einer Königin ihre Verwaltung so organisieren, dass auch die Bürger Macht hatten und ihre Bedürfnisse artikulieren konnten?
Das Teigkneten verlieh Bitterblue Bodenhaftung. Ebenso ihr Umherwandern, ihre fortgesetzten Erforschungen des Schlosses. Als sie eines Tages Kerzen für ihren Nachttisch brauchte, ging sie selbst zum Kerzenmacher, um sich welche zu holen. Als sie ihre wachsende Garderobe aus Kleidern mit Hosenröcken bemerkte und die Ärmel, die nun wieder knopflos waren, bat sie Helda, sie ihren Schneidern vorzustellen. Voller Neugier platzte sie ins Wohnzimmer, als der Junge, der jeden Abend ihren Tisch abräumte, gerade bei der Arbeit war – und wünschte dann, sie hätte diese Aktion etwas gründlicher vorbereitet, denn er war gar kein Junge. Er war ein erschreckend gut aussehender, dunkelhaariger junger Mann mit schmalen Schultern und geschickten Händen, und sie trug einen leuchtend roten Morgenmantel mit rosa Pantoffeln, die ihr zu groß waren, ihre Haare waren ganz zerwühlt und sie hatte einen Tintenfleck auf der Nase.
Die Arbeiten im Schloss um sie herum befriedigten sie zutiefst. Wenn sie in schneidender Kälte den großen Schlosshof durchquerte, sah sie Saf auf seiner Plattform und Arbeiter, die die Rohre von Eis befreiten. Sie sah, wie Schnee auf das Glas fiel und Schmelzwasser in den Brunnen floss. Mitten in der Nacht bohnerten Männer und Frauen auf Knien mit weichen Tüchern die Fußböden in den Fluren, während sich der Schnee auf den Dächern über ihnen häufte. Sie erkannte allmählich die Leute wieder, an denen sie vorbeikam. Bei der Suche nach einem Zeugen für das Auftauchen des roten Wörterbuchs gab es keine Fortschritte, aber wenn Bitterblue Todd in der Bibliothek besuchte, lernte sie das neue Alphabet, beobachtete ihn, wie er Alphabetraster und Diagramme über die Buchstabenhäufigkeit zeichnete, und half ihm dabei, nicht den Überblick über die Zahlen zu verlieren. »Sie bezeichnen ihre Sprache mit einem Namen, der bei uns vielleicht ›Dellianisch‹ heißen würde, Königin. Und sie nennen unsere so was wie ›Beschenktisch‹.«
»Dellianisch wie der falsche Name des Flusses? Wie der Dell?«
»Ja, Königin.«
»Und Beschenktisch? Der Name unserer Sprache ist ›Beschenktisch‹?!«
»Ja.«
Selbst Madlens Arbeit, Skelette zu rekonstruieren, die auf die Labors der Krankenstation und einen der Patientenflügel übergegriffen hatte, war Bitterblue ein Trost. Diese Knochen beinhalteten die Wahrheit über etwas, das Leck getan hatte, und Madlen versuchte, sie wieder zu ihrem Recht kommen zu lassen. Es war für Bitterblue wie eine Art, ihnen Respekt zu erweisen.
»Wie geht es Ihrem Arm, Königin?«, fragte Madlen, die etwas in der Hand hielt, das aussah wie eine Handvoll Rippen, und diese anstarrte, als wollten sie ihr etwas sagen.
»Besser«, sagte Bitterblue. »Und den Brotteig zu kneten erdet mich.«
»Dinge zu berühren hat etwas Machtvolles an sich, Königin«, sagte Madlen und sprach damit etwas aus, das Bitterblue selbst schon mal gedacht hatte. Madlen reichte Bitterblue die Rippen. Bitterblue nahm sie und spürte ihre eigentümliche Glätte. Betastete die erhobene Linie an einer davon.
»Diese Rippe ist mal gebrochen gewesen und wieder geheilt, Königin«, sagte Madlen.
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