Die Königliche (German Edition)
unverzeihlich. Sie haben seine Worte gelesen, stimmt’s? Sie wissen, zu was er uns gezwungen hat, oder?«
»Er hat Sie gezwungen, seine Opfer zu heilen, damit er sie weiter verletzen konnte«, sagte sie. »Er hat Sie gezwungen, dabei zuzusehen, wie er sie geschnitten und vergewaltigt hat. Es war nicht Ihr Fehler, Thiel!«
»Nein«, sagte er und bekam große Augen. »Nein, er war derjenige, der zugesehen hat. Wir waren diejenigen, die sie geschnitten und vergewaltigt haben. Kinder!«, rief er. »Kleine Mädchen! Ich sehe ihre Gesichter noch heute vor mir!«
Bitterblue war vor Schwindel wie gelähmt. »Was?«, sagte sie und verstand ganz plötzlich die allerletzte Wahrheit. »Thiel! Leck hat Sie gezwungen, den anderen das anzutun?«
»Ich war sein Liebling«, sagte Thiel außer sich. »Ich war seine Nummer eins. Ich empfand Lust, wenn er es mir auftrug. Ich spüre sie immer noch, wenn ich ihre Gesichter vor mir sehe!«
»Thiel«, sagte sie, »er hat Sie gezwungen! Er hat Sie benutzt!«
»Ich war ein Feigling«, rief er verzweifelt gegen den Wind an. »Ein Feigling!«
»Aber es war nicht Ihre Schuld! Thiel. Er hat Ihnen Ihre Identität geraubt!«
»Ich habe Runnemood getötet – das wissen Sie doch, oder? Ich habe ihn von dieser Brücke gestoßen, damit er Ihnen nichts tut. So viele Menschen habe ich getötet. Ich habe versucht, die Erinnerung zum Verstummen zu bringen, ich musste sie loswerden, aber alles wird immer nur noch größer und unbeherrschbarer. Es sollte nie so groß werden. Ich wollte Sie nie so sehr belügen. Es sollte irgendwann aufhören. Aber es hört nie auf!«
»Thiel«, sagte sie, »es gibt nichts, was nicht verziehen werden kann!«
»Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf, schüttelte die Tränen aus dem Gesicht. »Ich habe es versucht, Königin. Ich habe es versucht und es verheilt einfach nicht.«
»Thiel«, sagte sie jetzt schluchzend, »bitte. Ich möchte Ihnen helfen. Bitte, bitte, kommen Sie da vom Rand weg.«
»Sie sind stark«, sagte er. »Sie werden es besser machen; sie sind eine wahre Königin, wie Ihre Mutter. Ich stand hier, während Ihre Mutter verbrannte. Als er ihren Leichnam auf der Monster Bridge in Brand setzte, stand ich genau hier und sah zu. Ich war hier, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Es ist richtig, dass mir niemand diese Ehre erweist«, sagte er und drehte sich zum Geländer um.
»Nein«, sagte sie. »Nein, Thiel!«, rief sie und packte ihn, wobei sie ihr nutzloses Schwert fallen ließ und versuchte, einen Teil von ihr, irgendeinen Ausläufer ihres Geistes oder ihrer Seele, dazu zu bringen, sich aus ihrem Inneren auszustrecken und ihn zu umschlingen, ihm Einhalt zu gebieten, ihn auf dieser Brücke festzuhalten. Ihn mit ihrer Liebe festzuhalten. Hör auf, dich zu quälen, Thiel. Hör auf, gegen mich anzukämpfen. Nein, bleib, bleib hier! Du wirst nicht sterben.
Er bog ihre Finger auf und schubste sie so heftig, dass sie zu Boden stürzte. »Alles Gute, Bitterblue. Befrei dich davon«, sagte er zu ihr. Dann umfasste er das Geländer, zog sich hinauf und fiel über die Brüstung.
Sie lag hoch oben über rauschendem Wasser.
Vielleicht hatte er nur so getan. Vielleicht war er weggegangen, während ihre Augen geschlossen gewesen waren, hatte es sich anders überlegt, war zurück nach Hause gegangen.
Nein. Er hatte nicht nur so getan. Ihre Augen waren nicht geschlossen gewesen. Sie hatte alles gesehen.
Sie musste von dieser Brücke herunter. Dessen war sie sich ziemlich sicher. Aber sie konnte nicht gehen, weil die Brücke viel zu hoch war, als dass man darübergehen könnte. Was, wenn sie hierblieb? Was, wenn sie sich an die Erinnerung an einen kalten Berg klammerte, an Katsas Körper, der sie wärmte, an Katsas Arme, die sie sicher zur Erde zurückbrachten?
Krabbeln, sie konnte krabbeln. Es war keine Schande zu krabbeln, wenn man nicht gehen konnte. Das hatte mal jemand zu ihr gesagt. Jemand …
»Hey.«
Die Stimme über ihr war ihr vertraut.
»Hey, was machst du hier? Bist du verletzt?«
Der Mensch, der zu der Stimme gehörte, berührte sie und wischte einen Haufen Schnee beiseite. »Hey, kannst du aufstehen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Kannst du sprechen? Ist es die Höhe, Sparks?«
Ja. Nein. Sie schüttelte den Kopf.
»Du machst mir Angst«, sagte er. »Wie lange liegst du schon hier draußen? Ich hebe dich hoch.«
»Nein«, brachte sie hervor, denn hochgehoben zu werden bedeutete, zu weit oben zu sein.
»Warum sagst du mir nicht, was
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