Die Königliche (German Edition)
hatte, es zu lesen.
Bitterblue, plötzlich wütend geworden, schob das Buch zurück ins Regal. Dieses Buch, diese Erinnerung half ihr nicht. Sie brauchte nicht noch mehr bizarre Sachen, deren Sinn sie herausfinden musste.
Aber sie konnte es auch nicht hierlassen. Es hieß Das Buch der wahren Dinge . Sie war auf der Suche nach wahren Dingen, und dieses Buch, das sie nicht verstand, musste der Schlüssel zur Wahrheit über irgendetwas sein.
Bitterblue griff erneut nach dem Buch. Zurück im Schlafzimmer legte sie es auf den Nachttisch neben ihrem Bett und steckte ihre Liste der Rätselteile hinein.
Am Morgen zog Bitterblue die Liste aus dem Buch und las sie erneut. Ein paar Fragen hatte sie beantwortet, andere waren weiterhin ungelöst.
Teddys Worte. Wer sind meine »ersten Männer«? Was hat er mit schneiden und nähen gemeint? Bin ich in Gefahr? Wessen Opfer bin ich?
Danzhols Worte. Was hat er gesehen? Was hat er zu sagen versucht?
Darbys Aufzeichnungen. Hat er mich belogen, als er sagte, die Wasserspeier seien nie dort gewesen?
Allgemeine Fragen. Wer hat Teddy angegriffen?
Dinge, die ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe. Warum verfällt die Oststadt und wird trotzdem verschönert? Warum hat Leck das Schloss so komisch gestaltet?
Was hat Leck GETAN? Tiere gequält. Leute verschwinden lassen. Druckereien in Brand gesetzt. (Brücken gebaut. Das Schloss renoviert.) Im Ernst, wie soll ich wissen, wie ich mein Königreich regieren soll, wenn ich keine Ahnung habe, was zu Lecks Zeit passiert ist? Wie soll ich verstehen, was mein Volk braucht? Wie kann ich mehr herausfinden? In den Erzählstuben?
Hier hörte sie auf zu lesen. Gestern Nacht war sie wegen des Ratstreffens an dem Ort gewesen, der im Grunde die größte Erzählstube des Königreichs war. Vielleicht konnte sie dort noch mehr Bücher wie Das Buch der wahren Dinge finden, welche, die im Gegensatz zu ihm einen Sinn ergaben. Bücher, die Erinnerungen weckten und einige der größten Lücken ausfüllten.
Konnte sie Näheres darüber herausfinden, was Leck getan hatte? Wenn sie wüsste, was er getan hatte und warum, wäre es dann nicht leichter zu verstehen, was einige Leute jetzt taten?
Sie fügte noch zwei Fragen zu ihrer Liste hinzu: Warum fehlen überall so viele Teile? Birgt die Bibliothek Antworten?
Als Katsa sie zum Schwerttraining aus dem Bett holte, stellte Bitterblue fest, dass sie außer ihr nicht nur Raffin und Bann geweckt hatte, sondern auch Giddon und Bo. Sie warteten alle zusammen in Bitterblues Wohnzimmer und stocherten in ihrem Frühstück herum, während sie sich anzog. Giddon, zerschlagen und in denselben zerknitterten Kleidern wie am Vortag, sah aus, als wäre er die ganze Nacht unterwegs gewesen. Er sackte auf dem Sofa zusammen und schlief sogar einen Moment ein.
Raffin und Bann standen im Halbschlaf aneinandergelehnt an der Wand. Irgendwann gab Raffin, dem nicht bewusst war, dass er eine kleine neugierige Zeugin hatte, Bann einen verschlafenen Kuss aufs Ohr.
Bitterblue hatte sich das schon gedacht. Es war schön, wenn irgendwas in der Welt sich klärte. Vor allem, wenn es etwas Erfreuliches war.
»Thiel«, sagte sie später am Morgen in ihrem Schreibzimmer. »Erinnern Sie sich an den verrückten Ingenieur mit den Wassermelonen?«
»Sie meinen Ivan, Königin?«
»Genau, Ivan. Auf dem Rückweg von dem Mordprozess gestern habe ich ein Gespräch mit angehört, das mich beunruhigt hat, Thiel. Offenbar ist Ivan für die Sanierung der Oststadt verantwortlich und erfüllt seine Aufgabe schlecht. Darum sollte sich mal jemand kümmern. Es klingt, als bestünde konkret die Gefahr, dass Häuser einstürzen und Ähnliches.«
»Oh«, sagte Thiel, dann setzte er sich unvermittelt und rieb sich geistesabwesend die Stirn.
»Alles in Ordnung, Thiel?«
»Verzeihen Sie, Königin«, sagte er. »Mir geht es gut. Diese Sache mit Ivan ist ein furchtbares Versäumnis unsererseits. Wir werden uns sofort darum kümmern.«
»Danke«, sagte sie und sah ihn zweifelnd an. »Und, soll ich heute zu einem weiteren Fall des Obersten Gerichts gehen? Oder gibt es ein neues Abenteuer?«
»Heute wird nichts besonders Interessantes am Obersten Gericht verhandelt, Königin. Ich werde sehen, was ich für eine Aufgabe außerhalb des Schreibzimmers für Sie auftreiben kann.«
»Schon gut, Thiel.«
»Haben Sie Ihre Wanderlust schon wieder verloren, Königin?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Nein«, sagte sie und stand auf. »Ich gehe in die Bibliothek.«
Der
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