Die Königsmacherin
sogar die Todesstrafe auf Unzucht vor der Ehe?
»Leutberga!«
Die nahende Stimme des Abgesandten überschlug sich. Man durfte sie nicht finden! Unbekleidet, geschändet, blutend – sie würde die Schmach nicht überleben. Den Körper dicht am Erdboden, kroch sie mit halbgeschlossenen Augen ein paar Armlängen weiter und verbarg sich unter den ausladenden Blättern einer Gruppe von Farnen. Dort blieb sie regungslos liegen, ließ die kleinen Lebewesen des Waldes unbehelligt über ihren Leib und durch ihre Haare wandern und zwang ihren Körper, nicht auf Stich, Biß oder Brennen zu antworten. Tannenzapfen, Kieselsteine, modernde Blätter und dornige Zweige drückten sich in ihre Haut. Bertrada stützte den Kopf auf die Hände und blickte starr geradeaus durch ein großes Spinnennetz, das schon zahlreichen Käfern, Mücken und anderem Getier zur Falle geworden war. An einer Stelle war es zerrissen, wohl durch Bertradas Einzug in das Farnbett. Die vielbeinige Weberin hatte auf der Lauer gelegen. Eilig krabbelte sie Bertradas Arm hinauf und setzte von ihrer Hand aus auf das Blatt über. Bertrada, die noch bis vor wenigen Stunden einen unüberwindlichen Ekel vor Spinnen empfunden hatte, verzog keine Miene, als die haarigen Beine kurz ihre Wange streiften. Ihr Körper war ihr völlig fremd geworden. Was immer nun mit ihm geschah, berührte sie nicht mehr.
Die Rufe wurden immer lauter, Stimmengewirr näherte sich.
»Hier ist ihr Pferd! Angebunden! Sie muß in der Nähe sein.« Die Stimme des Abgesandten klang mit einemmal erheblich zuversichtlicher. Dann ein Schrei aus Mimas Kehle:
»Kommt alle her! Hier sind ihre Kleider! Und eine Silbermünze!«
Bertrada hörte und spürte Schritte in ihrer unmittelbaren Nähe. Durch das Spinnennetz beobachtete sie, wie zwei niedliche kleine Schnallenschuhe an ihr vorbeieilten. Leutberga hatte also die Sänfte verlassen. Aber nicht für lange, dachte Bertrada betroffen, als sie ihre Freundin laut rufen hörte: »Leutberga, wo bist du? Antworte doch! Leutberga!«
War die Maskerade denn nicht vorbei? Die Grafentochter, die Verlobte Pippins, war allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz vielleicht von Räubern entführt oder von wilden Tieren angefallen worden. Jetzt hätten Mima, Leutberga und der Abgesandte den Rollentausch eingestehen und alle Kräfte in Bewegung setzen sollen, um Bertrada aufzufinden. Warum taten sie es nicht? Eine aufwendige Suche nach der verlorengegangenen Tochter einer Amme würde es nicht geben, da war sich Bertrada ganz sicher. In ihrem Zustand wollte sie auch gar nicht gefunden werden, aber es schmerzte sie, daß zwei Menschen, die ihr so nahestanden, augenscheinlich bereit waren, sie im Stich zu lassen. Jetzt war sie, die Grafentochter, ein Niemand. Leutberga hatte ihre Rolle übernommen und war doch immer nur die Ammentochter.
Am Flußufer starrte der Abgesandte auf die Münze. »Irgend jemand hat sie gekauft, verschleppt … ihr wohl Sklavenkleidung angezogen«, sagte er dumpf. »Eine andere Erklärung gibt es nicht. Ich weiß nicht, wie ich meinem Herrn diese Nachricht überbringen soll.«
»Das Pferd!« rief Mima. »Welcher Räuber würde ein so wertvolles Pferd zurücklassen?«
»Welcher Räuber zahlt für seine Beute?« gab der Abgesandte zurück. Es war alles sehr rätselhaft. Er drückte Mima an sich, nutzte die Gunst der unbeobachteten Minute und wagte einen Kuß. Mima wehrte sich nicht.
»Wir müssen dafür sorgen, daß Bertrada nie wieder auftaucht«, flüsterte sie dem Abgesandten ins Ohr. »Dann wird alles gut, vertrau mir, es gibt einen Weg …«
Dankbar nickte Graf Fulco. »Ich werde es dir reich lohnen«, sprach er. Er verschwendete keinen Gedanken daran, daß er sich damit in Mimas Hand begab. Es ging ihm jetzt nur noch darum, sein Leben zu retten. Denn er wußte, daß dieses verwirkt war, wenn sich herausstellte, daß die ihm anvertraute Grafentochter verschwunden war.
Nachdem sich die Suchenden wieder entfernt hatten, richtete sich Bertrada mühsam auf. Als sie sich umsah, erschien es ihr plötzlich gar nicht mehr so seltsam, daß man sie nicht entdeckt hatte: Niemand mit Verstand würde sich einem so großen Waldameisenhügel nähern! Sie mußte ihn auf dem Weg in ihr Farnbett fast gestreift haben! Rasch stand sie auf, entfernte sich schnell von der gefährlichen Stelle und setzte sich auf den Fels am Bachufer, wo vor wenigen Minuten noch ihre Kleidung gelegen hatte.
Was sollte sie tun? Was konnte sie nackt und bloß und bar
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