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Die Königsmacherin

Die Königsmacherin

Titel: Die Königsmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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zahnlos.
    »Was ist dir geschehen, Kind, wo sind deine Kleider?«
    Eine Hexe, dachte Bertrada mit leichtem Unbehagen, das aber nach den Sekunden der Todesangst fast wohltuend war. Vielleicht war dies sogar die alte Frau, die ihrem Vater begegnet war. Aber nein, eine Hexe würde nie Gott anrufen. Andererseits wüßte eine Hexe von Mitteln, einen schnellen und schmerzlosen Tod herbeizuführen. Bertrada bedauerte, aus den botanischen Lektionen ihrer Mutter nur noch den Satz ›Alles zum Leben und Sterben schenkt der Wald‹ im Kopf zu haben. Von allem zu wissen war zu wenig, wenn man etwas ganz Bestimmtes brauchte.
    »Geraubt«, murmelte sie. »Alles geraubt.«
    Die Alte steckte ihren Stock in die Erde, hielt sich daran fest und ging mühsam in die Hocke. Ihr Blick blieb auf Bertradas blutbeschmierten Beinen hängen.
    »Wer hat dir das angetan?« fragte sie hart.
    »Ein Edelmann«, preßte Bertrada hervor.
    Die rotgeränderten wimperlosen Augen sahen mehr.
    »Und jetzt hast du also beschlossen, einfach zu sterben?«
    Bertrada nickte.
    »Deine Füße können gehen, deine Hände zupacken, deine Augen sehen, deine Ohren hören, du spürst nicht Knochen, Lunge noch Eingeweide und glaubst, Gott wird ein Einsehen haben, nur weil dir das Herz schwer ist? Komm mit!«
    Die Alte zog sich an ihrem Stock hoch, wandte sich um und ging langsam davon. Bertrada blieb an der Böschung sitzen.
    »Steh schon auf!« rief die Alte ungeduldig, ohne sich umzusehen. »Die Geschöpfe des Waldes tragen auch kein Tuch und werden sich um deine Nacktheit nicht scheren. Oder sollen in deinen Höhlen auch noch Ameisen hausen?« Sie wies mit dem Stock auf den Ameisenhügel.
    Bertrada stand rasch auf. Die Alte blieb am Holunderbusch stehen.
    »Schau nach, welche Beeren schon reif sind, pflück sie und eine Handvoll Blätter dazu. Steck mir alles in die Tasche und brich einen kleinen Zweig ab.«
    Bertrada tat, wie ihr geheißen und folgte der Alten. Sterben kann ich später immer noch. Wie lebendig sie augenblicklich war, spürte sie unter den Fußsohlen, machten ihr Brennesseln, Dornen und Zweige deutlich, die ihre bloße Haut quälten.
    Nach wenigen Schritten erblickte Bertrada vor sich eine mit Moos bewachsene Felsengruppe. Vor einem dichten Gebüsch duckte sich die Alte und war plötzlich verschwunden. Bertrada zögerte. Ihre Haut brannte und juckte bereits an vielen Stellen. Das war schlimmer als die Belästigung durch Wanzen, Flöhe und Läuse. Welche Pein wartete wohl erst im Unterholz auf sie!
    »Zieh das an«, krächzte die Stimme der Alten. Etwas Braunes wurde auf das Gebüsch hinausgeworfen. Bertrada beugte sich weit vor und zog den Stoff von den Zweigen. Noch nie hatte sie ein Kleidungsstück so erfreut wie die verschmutzte, zerschlissene und viel zu kurze Tunika, die sie sich nun überwarf. Sie zwängte sich zwischen zwei Sträuchern hindurch und sah die Alte vor einer niedrigen Felsöffnung sitzen. Auf einer Feuerstelle stand ein kleiner Kessel. Bertrada legte den Holunderzweig daneben und blickte neugierig an den aufgeschichteten trockenen Ästen am Höhleneingang vorbei ins Innere. Erschrocken wich sie zurück.
    »Was ist das?« fragte sie heiser.
    »Noch ist es ein Mensch«, erwiderte die Alte, reichte Bertrada einen Feuerstein und nickte zur Feuerstelle hinüber. »Wie ein verwundetes Tier hat er sich in diese Waldhöhle verkrochen, um zu sterben, aber Gott macht es ihm schwer. Der Aussatz zerfrißt seinen Körper, und das Fieber verwirrt seinen Verstand. Seine Hände können nicht zupacken, die Füße ihn nicht mehr tragen, seine Augen sehen und seine Ohren hören nichts mehr. In seinen Geschwüren hausen die Maden, und in den Eingeweiden wütet der Gehilfe des Todes. Ich lindere seine Not, bis sich der Herr seiner erbarmt.«
    »Wer ist er? Wer bist du?« fragte Bertrada.
    Die Alte lachte bitter. »Er ist der, den ich gefunden habe. Hier, in dieser Höhle, die wir uns jetzt teilen. Und ich bin die Muhme, deren toter Schwester Enkelsohn vom Hof flüchten mußte. Ich bin zu alt, um weit zu gehen, zu krank, um eingefangen zu werden, zu aufgezehrt, um woanders zu beginnen. Ich bin mir selbst zu sehr eine Last, um in diesen bösen Zeiten auch noch meiner Schwester Enkelsohn eine zu sein …«
    Sie hielt inne und nahm Bertrada kopfschüttelnd den Feuerstein wieder ab.
    »Bring mir lieber etwas mehr Holz. Wozu hast du so bewegliche Finger, wenn du sie nicht zu nutzen weißt?«
    Wenig später stieg eine hauchdünne Rauchsäule empor, und das

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