Die Königsmacherin
gewesen, wenn er überhaupt für etwas anderes als das Wesen im Wasser Augen gehabt hätte. Jetzt erhob es sich und entpuppte sich als äußerst wohlgeformte junge Frau mit langen schlanken Beinen. Sie warf das nasse dunkle Haar über die Schultern, formte die Hände anmutig zu einem Gefäß und bückte sich vor, um aus dem Bach zu trinken. Wie ein Diamantregen liefen glitzernde Wassertropfen über die helle Haut den Rücken hinab. Der Beobachter schrak auf, als er plötzlich an der Schulter berührt wurde. Wie bedauerlich, daß sein Herr und Freund ihn so schnell eingeholt hatte! Er hatte ihn nicht einmal nahen hören, so sehr hatte ihn die weibliche Gestalt im Bach in ihren Bann geschlagen. Jetzt würde er ihm bei dieser Unfreien, denn nur um eine solche konnte es sich handeln, den Vortritt lassen müssen. Aber sein Herr machte ihm schnell klar, daß er keineswegs zu teilen gewillt war. »Verschwinde und warte an der Weggabelung auf mich!« flüsterte er, und sein Ton duldete keinen Widerspruch.
Bertrada wandte sich um und blickte die Böschung hinauf. Ihre Augen weiteten sich, und ihre Hände erwiesen sich als zu klein, um ihre Blöße auch nur notdürftig zu bedecken. Sie wich rückwärts weiter in den Bach zurück. Als sie das Gleichgewicht verlor und stürzte, blieb sie bäuchlings im Wasser liegen und klammerte sich an einen Stein. Lange Zeit verharrte sie so, ohne den Blick von den braunen Augen des Fremden abzuwenden. Löse dich auf, löse dich auf, sprachen ihre Augen, diesen Gefallen aber tat der Mann ihr nicht.
»Komm heraus, du Schöne«, sagte er belustigt. »Wir wissen beide, daß es für dich kein Entrinnen gibt.«
Sie schüttelte den Kopf und hielt den Stein weiter fest umklammert.
»Gut, dann werde ich dich holen!«
Bertrada wandte den Blick ab, als er sich zu entkleiden begann. Sie hatte noch nie einen nackten Mann gesehen und hoffte wider besseres Wissen, daß ihr dies auch jetzt erspart bliebe. Sie starrte auf die rauhe Oberfläche des Steins, den sie immer noch angstvoll umklammert hielt, und begann laut zu beten. Kräftige Hände packten sie, rissen sie hoch und trugen sie die Böschung hinauf. Sie hielt die Augen fest geschlossen, stellte sich vor, daß es die Hände eines Engels waren, der sie forttragen und vor diesem bösen Menschen in Sicherheit bringen würde. Aber als dann die Tannennadeln in ihren Rücken stachen, konnte sie sich nicht mehr vormachen, daß ein höheres Wesen sie auf den Waldboden gebettet hatte. Und dann spürte sie auch die Nadeln nicht mehr.
»Welch ein vorzügliches Zeichen, eine Jungfrau!« drang ein Ruf an ihre Ohren. Sie öffnete endlich die Augen. Der Mann hatte die bis zum Knie reichende Tunika übergestreift und den Gürtel mit Schwert und Messer wieder angelegt. Er war an ihr Kleiderbündel getreten und strich sanft über den Stoff. »Wer immer deine Herrin sein mag, sie sorgt gut für dich«, rief er ihr zu, als wäre nichts geschehen, und legte eine Silbermünze auf das zusammengefaltete Leinenkleid. Fröhlich winkte er der schönen Badenixe zu und verschwand zwischen den Bäumen.
Bertrada war wie gelähmt. Sie konnte nicht aufstehen und hätte hinterher auch nicht sagen können, wie lange sie auf dem Waldboden liegengeblieben war oder woran sie in dieser Zeit gedacht hatte. Es mußten Stunden vergangen sein, denn als sie die Augen wieder öffnete, drang schon abendlich gefärbtes Sonnenlicht durch das Blätterdach des Waldes. In der Ferne hörte sie Rufe.
»Leutberga! Leutberga!«
Warum suchte man nach Leutberga? Dann erst fiel ihr der Rollentausch wieder ein. Mühsam setzte sie sich auf und blickte voll Abscheu auf ihren Körper. Sie versuchte auf die Beine zu kommen, doch die Knie versagten ihr den Dienst. Auf ihrem Kleiderbündel, in unerreichbarer Ferne, glitzerte etwas Silbernes. Er hatte sie geschändet und auch noch dafür bezahlt! Welch eine Demütigung!
Nein, nichts ist passiert, sagte sie sich hartnäckig. Ich habe mich im Bach abgekühlt, bin danach am Ufer eingeschlafen und hatte einen bösen Traum. Ich werde mich jetzt ankleiden und auf die Rufe antworten.
Doch so sehr sie sich auch mühte, sie konnte sich einfach nicht einreden, ein Waldgeist hätte das Silberstück auf ihre Kleidung gelegt. Sie mußte den Tatsachen ins Auge sehen: So entehrt konnte sie unmöglich vor ihren Bräutigam, einen künftigen Hausmeier des Frankenreichs, treten, so besudelt nicht zu ihrer Reisegesellschaft oder zu ihren Eltern zurückkehren. Stand nicht
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