Die Königsmacherin
natürlich nicht. Ein Kronprinz mußte schließlich bei Hof erzogen und auf seine herrscherlichen Aufgaben vorbereitet werden! Drei Männer hatten Himiltrud fortschleppen müssen, und ihre verzweifelten Schreie klangen ihm noch heute im Ohr. Wie ein Ungeheuer war er sich vorgekommen! Um dieses unangenehme Gefühl loszuwerden, hatte er sich zu seiner Schwester begeben. Hier war ein Mädchen, das ihm nie Vorwürfe machte, alles verstand und seine Handlungen stets guthieß. Er erinnerte sich an das entgeisterte Gesicht seiner Mutter, der er in jener Nacht begegnet war, als er die Tür zu Giselas Schlafgemach leise von außen zugezogen hatte.
»Ich habe meiner kleinen Schwester noch einen Gutenachtkuß vorbeigebracht«, hatte er lachend erklärt. Und damit nicht einmal gelogen. Auch Gisela, die Desiderata genauso abscheulich fand wie er es tat, hatte ihm geraten, sich Hildegard zuzuwenden. »Wenn ich dich schon teilen muß, dann nur mit meiner besten Freundin«, hatte sie gesagt.
Aber noch war er mit Desiderata verheiratet. Nicht mehr lange, dachte er grimmig. Jetzt, da mir das gesamte Reich gehört, brauche ich sie und ihren Vater nicht mehr. Sie kann wieder dorthin zurückkehren, wo sie hergekommen ist. Soll mir Desiderius doch den Krieg erklären!
Vor dem Langobardenkönig hatte er keine Angst. Vor seiner Mutter schon eher.
»Das verbiete ich dir!« schrie sie ihren Sohn an, als er mit Purpurtunika, Mantel und Diadem, den Insignien seiner neuen Königswürde, vor sie trat und sie über seinen Entschluß in Kenntnis setzte. »Wenn du deine Frau verstößt, setzt du alles aufs Spiel, wofür ich die letzten Jahre so hart gearbeitet habe! Du gefährdest den Frieden – und dein Seelenheil dazu!«
»Den Frieden wird irgendwann die Einheit des Reiches sichern, und mein Seelenheil sichere ich mir durch Gebete, Messen und zahlreiche Schenkungen an Kirchen, Klöster und an den Heiligen Vater.«
»Der wird dich mit dem Bannfluch belegen!«
»Das wollte er ja schon, als ich Desiderata heiratete. Heute ist Desiderius sein allertreuester Freund, und seine Tochter meine hochgeschätzte Gemahlin. Morgen wird er wieder Gott danken, daß ich keine Nachkommen mit einer stinkenden Langobardin gezeugt, weißt du noch? Ich werde unser Geschlecht also nicht beschmutzen, sondern die edle Hildegard heiraten.«
»Hildegard!« schäumte Bertrada. »Hildegard ist noch ein Kind!«
»Meine Schwester ist genauso alt, und die wolltest du doch auch verheiraten.«
»Das hatte dynastische Gründe!«
»Die mache ich auch geltend. Hildegard stammt aus bester Familie.«
»Und was ist mit Karlmanns Söhnen? Irgendwann sind sie erwachsen und fordern mit allem Recht der Welt ihr Erbteil ein!«
»Das werde ich schon zu verhindern wissen, Mutter.«
Grifo, Karlmann, Drogo und jetzt der kleine Pippin und sein Bruder: Die Geschichte wiederholte sich immer wieder. Müde ließ sich Bertrada auf einen Stuhl fallen, schlug die Hände vors Gesicht und begann laut zu schluchzen.
Karl eilte an ihre Seite und legte die Arme um seine Mutter.
»Ich liebe und ich ehre dich, Mutter«, sagte er ernst. »Es gibt keine Frau, vor der ich größere Achtung hätte. Du hast Großartiges vollbracht, aber es wäre jetzt unverantwortlich, das Reich abermals zu spalten und das Machtgefüge ins Wanken zu bringen. Das würde unweigerlich geschehen, wenn kleine Kinder auf den Thron gehoben und zum Spielball widerläufigster Interessen würden. Vergiß nicht, Mutter, wir sind noch eine sehr junge Dynastie. Und die Zeiten haben sich geändert. Nur eins ist gleichgeblieben. Der Eckpfeiler meiner Herrschaft ist nicht das Langobardenreich. Der ist, wie schon für meinen Vater, der Heilige Stuhl, der unserem Haus ohne Blutvergießen das Königtum ermöglicht hat. Ich bin der Patrizius der Römer.« Er stand auf, trat ans Fenster und sprach weiter, als rede er zu sich selbst: »Vor zweihundert Jahren sind die Langobarden nach Italien gezogen. Ihre Zeit ist um. Und die der eigenständigen Sachsen und Bayern demnächst auch.«
Bertrada hob den Kopf. »Du willst doch nicht etwa Tassilo den Krieg erklären?« fragte sie bestürzt.
»Das wird nicht nötig sein«, sagte er und wandte sich wieder seiner Mutter zu. »Hildegard ist ja auch mit Tassilo verwandt und genießt seine Zuneigung. Du siehst, Mutter, eine Ehe mit ihr bringt sogar eine ganze Reihe dynastischer Vorteile.«
Mühsam erhob sich Bertrada von ihrem Stuhl, baute sich vor ihrem Sohn auf und schüttelte die
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