Die Kolonie
eines
schwarzen Spitzentuchs geschlagen.
Um den Kopf einen Turban aus blauem Samt.
An jedem Finger einen andersfarbigen Ring. Der Turban vorn mit einem polierten schwarzen Stein befestigt,
Onyx oder Jett oder Sardonyx,
jedenfalls ein Stein, der alles absorbiert. Nichts reflektiert.
Auf der Bühne, Statt eines Schweinwerfers, ein Filmausschnitt.
Die Schatten toter Filmstars, die Rückstände von
Elektronen, die vor hundert Jahren von ihnen abgeprallt sind.
Diese Elektronen gingen durch einen Film aus Cellulose,
veränderten die chemische Natur von Silberoxyd
und wurden zu Abbildern von Wagenrennen,
Robin Hood und Greta Garbo.
»Radar«, sagt die Gräfin. »GPS.
Röntgenbilder...«
Vor zweihundert Jahren wäre man dafür als Hexe
verbrannt worden.
Vor hundert Jahren mindestens ausgelacht worden.
Als Narr und Lügner
gescholten worden.
Und wer heutzutage die Zukunft voraussagt oder
die Vergangenheit
aus Zeichen erklärt, die nicht jeder wahrnehmen kann ...
nennt am Ende das Gefängnis oder die Irrenanstalt sein Zuhause.
Immer straft die Welt die wenigen, die über besondere Talente
verfügen,
die wir anderen nicht als Talente anerkennen.
Bei der Anhörung vor dem Bewährungsausschuss nannte ein Psychologe
ihr Verbrechen eine »akute stressbedingte Psychose«.
Eine »isolierte, atypische Episode«.
Ein Verbrechen aus Leidenschaft.
Das nie, nie, nie wieder geschehen werde.
Klopf, klopf auf Holz.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sie vier Jahre einer zwanzigjährigen
Haftstrafe abgesessen.
Ihr Mann war mit ihren Kindern im Schlepptau verschwunden.
Wenn heute in zweihundert Jahren alles, was sie gesehen und
gelesen und gewusst hat,
einen Sinn ergeben wird.
Dann wird die Gräfin bloß noch eine Gefangenennummer
sein.
Ein Aktenzeichen.
Die Asche einer Hexe.
Es muss etwas passieren
Eine Erzählung von Gräfin Weitblick
Claire Upton ruft aus der Toilette eines Antiquitätenladens an. Hinter der verschlossenen Tür hallt ihre Stimme von Wänden und Fußboden. Sie fragt ihren Mann: Ist es schwierig, eine Videoüberwachungskamera aufzumachen? Um die Kassette zu klauen?, sagt sie und bricht in Tränen aus.
Es ist das dritte oder vierte Mal seit einer Woche, dass Claire diesen Laden besucht. Wer sich hier umsehen will, muss bei dem Mann vorne an der Ladenkasse seine Handtasche abgeben. Auch den Mantel, wenn der tiefe, geräumige Taschen hat. Und den Schirm, weil es Leute gibt, die darin kleinere Gegenstände verschwinden lassen, Kämme, Schmuck, Nippsachen. Auf einem grauen Pappschild neben der Kasse steht mit schwarzem Filzstift geschrieben: »Wir haben was dagegen, dass die Kundschaft uns bestiehlt!«
Claire zog den Mantel aus und sagte: »Ich stehle nicht.«
Der Alte an der Kasse besah sie von oben bis unten und sagte: »Warum sollten ausgerechnet Sie eine Ausnahme sein?«
Er gab Claire für jeden Gegenstand, den sie bei ihm ablegte, eine halbe Spielkarte. Das Herz-As für die Handtasche. Die Kreuz-Neun für den Mantel. Die Pik-Drei für den Schirm.
Der Mann besah ihre Hände, die Umrisse ihrer Brusttaschen und ihrer Strumpfhose, ob darin etwas Gestohlenes verborgen sein könnte. Hinter der Kasse und überall sonst im Laden hingen kleine Schilder, die vom Stehlen abrieten. Videokameras überwachten jeden Winkel, und neben der Kasse stand eine Batterie kleiner Monitore, auf denen der Alte alles im Auge behalten konnte.
Er verfolgte jede ihrer Bewegungen. In Schwarzweiß. Er wusste in jedem Augenblick, wo Ciaire war. Er sah alles, was sie berührte.
Bei dem Laden handelte es sich um ein genossenschaftlich organisiertes Unternehmen, wo zahlreiche kleine Antiquitätenhändler ihre Waren unter einem Dach zum Verkauf anboten. Der Alte an der Kasse war an diesem Tag der Einzige, der dort arbeitete, und Ciaire war seine einzige Kundin. Der Laden war groß wie ein Supermarkt, aber in viele kleine Stände aufgeteilt. Überall tickten Uhren, und dieses Ticken verdichtete sich zu einer beträchtlichen Geräuschkulisse. Überall standen und lagen dunkelorange angelaufene Messingpokale herum. Rissige, krummgetretene Lederschuhe. Bonbonschalen aus Kristall. Mit grauem Schimmel überzogene Bücher. Korbschaukelstühle und Picknickkörbe. Strohhüte.
Auf einem Pappschild, mit Klebeband an einem Regal befestigt, konnte man lesen: »Sie dürfen's bewundern, Sie dürfen's bestaunen, doch wenn Sie's zerbrechen, müssen Sie BLECHEN! «
Auf einem anderen Schild stand: »Betrachtet. Befühlt.
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