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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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nur, um die hin und her fliegenden Vögel zu zeichnen. Den Zeichenblock hatte sie auf den Knien.
    Mrs. Clark sagte: »Cassandra, Kleines? Du musst der Polizei alles erzählen.«
    Wenn es ihr helfen würde, könnte man einen Hypnotiseur ins Krankenhaus kommen lassen. Die Ermittler würden anatomisch gestaltete Puppen mitbringen, die ihr bei ihrer Aussage helfen könnten.
    Und Cassandra sah weiter den Vögeln zu. Und zeichnete sie.
    Mrs. Clark sagte: »Cassandra?«, und berührte ihre weiß bandagierte Hand.
    Und Cassandra sah ihre Mutter an und sagte: »Das passiert nicht noch einmal.« Sie sah wieder nach den Vögeln und sagte: »Jedenfalls nicht mir...«
    Sie sagte: »Ich bin ein Opfer meiner selbst geworden.«
    Draußen auf dem Parkplatz richteten Fernsehteams ihre Satellitenschüsseln aus, jeder Ü-Wagen hatte eine auf dem Dach. Bereit, auf Sendung zu gehen. Die Korrespondentin vor Ort, ein Mikrofon in der Hand, einen Stöpsel im Ohr.
    Drei Monate lang waren an den Telefonmasten der Stadt, in der sie lebten, Plakate aufgehängt gewesen. Darauf ein Foto von Cassandra Clark: in Cheerleader-Uniform, mit strahlendem Lächeln, die blonden Haare in schwungvoller Bewegung. Drei Monate lang hatte die Polizei die Schüler der Highschool befragt. Hatte Leute befragt, die am Busbahnhof arbeiteten, am Bahnhof, am Flughafen. Die lokalen Fernseh- und Radiosender brachten Suchmeldungen, in denen Cassandra beschrieben wurde: hundert Pfund, ein Meter achtundsechzig, grüne Augen, schulterlanges Haar.
    Suchhunde schnüffelten an ihrem Cheerleader-Rock und folgten einer Geruchs spur bis zur Bank an einer Bushaltestelle.
    Nationalgardisten suchten mit Schnellbooten jeden Teich und Tümpel und Fluss im Umkreis einer Tagesfahrt ab.
    Irre riefen an und sagten, das Mädchen sei in Sicherheit. Sie sei von zu Hause weggelaufen und habe geheiratet. Oder sie sei tot und begraben. Oder sie sei in die Sklaverei verkauft und außer Landes geschmuggelt worden und lebe jetzt im Harem eines Ölscheichs. Oder sie habe eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen und werde demnächst als Junge nach Hause zurückkommen. Oder sie sein in einem Palast oder so was Ähnlichem eingeschlossen, zusammen mit mehreren anderen, die sich alle selbst verstümmelten. Dieser Irre schrieb drei Worte auf ein Blatt Papier und schickte es Mrs. Clark. Und sie las in zittriger Schrift: Klausur für Schriftsteller.
    Nach drei Monaten waren die gelben Schleifen, die sich die Leute an die Autoantennen gebunden hatten, zu einem blassen Weiß ausgeblichen. Kapitulationsfahnen.
    Niemand schenkte den Irren Beachtung, es waren einfach zu viele.
    Bei jeder verbrannten, verwesten oder verstümmelten Frauenleiche, die von der Polizei gefunden wurde, hielt Mrs. Clark den Atem an, bis die Überprüfung des Zahnstands oder eine DNA-Analyse erwiesen hatte, dass es sich nicht um Cassandra handelte.
    Im dritten Monat strahlte Cassandras Lächeln auf Milchkartons. Die Gebetswachen bei Kerzenschein hatte man inzwischen eingestellt. Die Leute dachten allenfalls noch an den auf einem Konto der örtlichen Bankfiliale ruhenden Betrag, der als Belohnung für die Aufklärung des Falles ausgesetzt war.
    Und dann - ein Wunder - tauchte sie plötzlich nackt auf dem Seitenstreifen eines Highways auf.
    Im Krankenhausbett, ihre Haut mit blauen Flecken übersät. Ihr Kopf kahl rasiert. Am Handgelenk das Plastikband mit ihrem Namen: C. Clark.
    Der Gerichtsmediziner nahm auf der Suche nach Peniszellen einen Abstrich vor - die sind länglich, sagte er, im Gegensatz zu den eher rundlichen Scheidenzellen. Man untersuchte sie nach Spermaspuren. Als man auf der Suche nach fremden Hautzellen ihre Kopfhaut, ihre Hände und Füße unter die Lupe nahm, fand man Stofffasern: blauen Samt, rote Seide, schwarzes Mohair. Man machte einen Abstrich von ihrer Mundschleimhaut und kultivierte die DNA in Petrischalen.
    Polizeipsychologen setzten sich zu ihr ans Bett und erklärten, wie wichtig es sei, dass Cassandra ihren Schmerz in Worte kleide. Dass sie bitter spreche.
    Die Fernseh- und Radioleute, die Zeitungs- und Zeitschriftenreporter, alle standen sie auf dem Parkplatz und brachten ihre Berichte mit dem Krankenhausfenster im Hintergrund. Manche traten beiseite und filmten Teams, die Teams filmten, die Teams filmten, die Cassandras Fenster filmten. Um zu zeigen, was für ein Zirkus das war, als sei das die endgültige Wahrheit.
    Wenn die Schwester ihr Schlaftabletten brachte, schüttelte Cassandra nur den Kopf. Sie

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