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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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denn...
    Der Alte sagt: »Jetzt kommt die Sache mit ihrem Testament.«
    Sie will eine Stiftung gründen: die Marilyn Monroe Foundation. Alle Einkünfte aus ihrem Vermögen sollen da hineinfließen. Und diese Stiftung wird das Geld ausschließlich den von ihr benannten Organisationen zukommen lassen. Dem Ku Klux Klan. Der Amerikanischen Nazipartei. Dem Nordamerikanischen Pädophilenverband.
    »Einige davon gab es damals wahrscheinlich noch gar nicht«, sagt der Alte, »aber Sie verstehen schon, worauf es hinausläuft.«
    Wenn die amerikanische Öffentlichkeit weiß, dass vom Preis jeder Eintrittskarte für einen ihrer Filme ein gewisser Anteil an die Nazis geht... Dann braucht man sie in den Kinos gar nicht mehr zu zeigen. Dann springen die Fernsehsponsoren ab. Dann sind diese Filme wertlos. Dann sind alle ihre Nacktfotos wertlos. Dann wird Marilyn Monroe zu Amerikas Lady Hitler.
    »Sie habe sich ihr Image selbst geschaffen, erklärte sie den Studiobossen. Und sie könne es sich auch selbst wieder kaputtmachen«, sagte der Alte.
    Ciaire sah von dem Glas auf dem Ladentisch auf und sagte: »Wie viel?«
    Der Alte sah auf seine Uhr. Er sagte, eigentlich wolle er das gar nicht verkaufen, aber er werde allmählich alt. Er würde sich gern zurückziehen und nicht hier den ganzen Tag herumsitzen und sich von der Kundschaft ausrauben lassen.
    »Wie viel?«, fragte Claire, die offene Handtasche vor sich auf dem Ladentisch; die behandschuhten Händen wühlen nach dem Portemonnaie.
    Und der Mann sagte: »Zwanzigtausend Dollar...«
    Es ist halb sechs, um sechs macht der Laden zu.
    »Chloralhydrat«, erklärte ihr der Alte. K.-o.-Tropfen, damit habe der Mann sie umgebracht. Sie hatte in jener Augustnacht Schlaftabletten genommen, und er brauchte ihr die Flasche nur in den Hals zu kippen. Natürlich hat man bei der Obduktion die K.-o.-Tropfen in ihrer Leber nachgewiesen, aber dazu wurde nur gesagt, sie habe sich das Zeug in Mexiko selbst besorgt. Sogar der Arzt, der ihr die Schlaftabletten verschrieben hatte, sagte Mexiko. Sogar er ging von Selbstmord aus.
    Zwanzigtausend Dollar.
    Und Claire sagte: »Das muss ich mir überlegen.« Ohne das Glas mit der trüben Flüssigkeit aus den Augen zu lassen, schob sie sich vom Ladentisch zurück und sagte: »Ich will noch mal...«
    Der Alte schnipste mit den Fingern: Handtasche, Mantel und Schirm bleiben hier, wenn sie sich noch mal im Laden umsehen will.
    Claire reichte ihm die Sachen über den Ladentisch, ließ aber die Spielkarten liegen.
    Claire Upton kann sich einen polierten Pokal anschauen und darin immer noch die Spiegelung eines strahlenden jungen Mannes sehen, Schweißperlen auf der Stirn, einen Tennis oder Golfschläger in der Hand. Sie sieht ihn über die Jahre fett werden, heiraten, mit seinen kleinen Kindern. Danach ist das . Innere eines Pappkartons zu sehen. Dann nimmt ein anderer junger Mann den Pokal heraus. Der Sohn des ersten.
    Aber dieses Glas erschien ihr wie eine Bombe, die nur darauf wartet, zu explodieren. Eine Mordwaffe, die ein Geständnis ablegen will. Wenn man es mit dem Finger berührte, spürte man einen Schlag. Einen Elektroschock. Eine Warnung.
    Sie ging im Laden umher, und er beobachtete sie auf seinen Monitoren.
    In den dunklen Gläsern einer alten Sonnenbrille sieht sie einen Mann, er wirft eine Frau zu Boden und reißt ihr die Beine auseinander.
    In der goldgetönten Spiegelung eines alten Lippenstifts sieht sie ein Gesicht, über das ein Nylonstrumpf gezogen ist; eine Frau im Bett, zwei Hände, die sich um ihren Hals legen; dann dieselben Hände, wie sie Kleingeld, Portemonnaie und Schlüssel von einer Kommode raffen. Der Lippenstift bleibt. Der Augenzeuge.
    Claire Upton und der Alte an der Kasse, die beiden sind allein in dem dämmrigen Laden. All diese Kissen mit vergilbtem Spitzenbezug. Bestickte Geschirrtücher. Topflappen mit Kreuzstichmustern. Versilberte, dunkelbraun angelaufene Haarbürsten. Präparierte Hirschköpfe mit ausladenden Geweihen.
    In der Stahlklinge eines Rasiermesser, in dem schweren verchromten Griff, kann Claire ihre Zukunft sehen.
    Dort, zwischen Rasierschalen und Rosshaarpinseln. Große bunte Kirchenfenster. Mit Perlen besetzte Abendhandtäschchen.
    Allein in dem Laden mit Marilyn Monroes verlorenem Kind. Allein in diesem Museum von Dingen, die niemand haben wollte. Alles beschmutzt von den Spiegelungen schrecklicher Ereignisse.
    Claire, eingeschlossen in der Toilette, erzählt jetzt die Geschichte, wie sie das Rasiermesser

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