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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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allein
    zuzuschreiben hat.
    Eine Katastrophe, die sie herbeigeführt hat.
    Also erklärt sie ihnen: »Zahnseide. Um Gottes willen, jeden Abend
    vor
    dem Schlafengehen Zahnseide benutzen.«
    Und jeden Abend vergibt die Baronin anderen Leuten.
    Sie vergibt sich selbst.
    Und sie vergibt Gott die Katastrophen, die einfach nur so
    zu geschehen scheinen.

Zu heiß gebadet
Eine Erzählung von Baronin Frostbeule
    »Im Februar«, pflegte Miss Leroy zu sagen, »war jeder betrunkene Fahrer ein Segen.«
    Paare auf der Fahrt in die zweiten Flitterwochen, um die Ehe zu kitten. Leute, die am Steuer einschliefen. Leute, die den Highway verließen, um etwas zu trinken: Das alles waren für Miss Leroy potenzielle Kunden, die sie womöglich überreden konnte, ein Zimmer zu mieten. Reden war die Hälfte ihres Geschäfts. Die Leute dazu bringen, noch einen Drink zu bestellen, und noch einen, bis sie bleiben mussten.
    Sicher, manchmal fühlt man sich wie gefangen. Oder aber, pflegte Miss Leroy zu sagen, man fängt irgendetwas an, was dann einfach immer so weitergeht.
    Die meisten Leute erwarten Besseres als die Zimmer, die die Lodge zu bieten hat. Die eisernen Bettgestelle schwanken, die Verbindungen zwischen Seiten- und Fuß teilen sind ausgeleiert. Die Schrauben und Muttern locker. Die Matratzen sind klumpig wie Mittelgebirge, die Kopfkissen platt. Die Laken sind sauber, aber das Quellwasser hier oben ist hart. Alles, was in diesem Wasser gewaschen wird, fühlt sich an wie Sandpapier und riecht nach Schwefel.
    Und zur Krönung gibt es nur ein Bad für alle am Ende des Flurs. Die meisten Leute nehmen auf Reisen keinen Bademantel mit, müssen sich also jedesmal erst anziehen, wenn sie mal pinkeln gehen wollen. Und für das morgendliche Bad in stinkendem Schwefelsud dient eine kalte weiße, gusseiserne Wanne auf Klauenfüßen.
    Sie macht sich ein Vergnügen daraus, diese Februargäste zum Bleiben zu bewegen. Als Erstes macht sie die Musik aus. Schon eine Stunde, bevor sie überhaupt zu reden anfängt, dreht sie die Lautstärke herunter, alle zehn Minuten ein paar Millimeter, bis Glen Campbell verstummt ist. Wenn der Verkehr auf der Straße vollständig eingeschlafen ist, stellt sie die Heizung aus. Eine nach der anderen löscht sie die Leuchtreklamen im Fenster. Wenn im Kamin Feuer war, lässt Miss Leroy es ausgehen.
    Unablässig ihr Ziel verfolgend, fragt sie die Leute nach ihren Plänen aus. Am White River kann man im Februar absolut nichts machen. Mit Schneeschuhen herumlaufen, vielleicht. Oder Skilanglauf, falls man seine eigenen Skier mitbringt. Miss Leroy sorgt dafür, dass jeder Gast von selbst auf die Idee kommt. Und am Ende macht tatsächlich jeder Gast diesen Vorschlag.
    Oder falls doch nicht, erwähnt sie eben selbst, dass man hier in der Gegend heiß baden kann.
    Ihre Kreuzwegstationen. Sie erzählt den Leuten von ihrem Leben. Erst zeigt sie sich, wie sie früher ausgesehen hat, die zwanzigjährige Collegestudentin, die in den Sommerferien am White River gezeltet und schließlich nach langem Betteln einen Job bekommen hat, der damals als Traumjob galt: Kellnerin hier in der Lodge.
    Es ist schwer, sich Miss Leroy als schlanke Frau vorzustellen. Schlank, mit weißen Zähnen, bevor das Zahnfleisch zurückzuweichen anfing. Als ihr Mund nicht so aussah wie jetzt, die freiliegenden braunen Wurzeln der Zähne, die sich drängen wie Möhren, die man zu dicht ausgesät hat. Schwer vorstellbar, dass sie einmal die Demokraten gewählt hat. Oder überhaupt andere Leute gemocht hat. Miss Leroy ohne den Anflug eines dunklen Damenbarts. Schwer vorstellbar, dass die Jungs am College Schlange gestanden haben, um mit ihr zu schlafen.
    Das macht einen ehrlichen Eindruck, wenn sie solche komischen und traurigen Sachen von sich selbst erzählt.
    Das bringt die Leute zum Zuhören.
    Wenn man sie jetzt in die Arme nähme, sagt Miss Leroy, würde man bloß den spitzen Draht ihres BHs fühlen.
    Wenn man heiß baden will, sagt sie, packt man Bier und Whiskey ein und wandert mit einer Gruppe junger Leute den White River hoch, bis man ein paar heiße Quellen gefunden hat. Die meisten dieser Quellen haben das ganze Jahr über fünfundsechzig bis fünfundneunzig Grad Wassertemperatur. In dieser Höhe kocht Wasser bereits bei zweiundneunzig Grad. Auch im Winter sind die Quellen - am Grunde eines tiefen, von Schneewehen umgebenen Eislochs - heiß genug, einen Menschen bei lebendigem Leibe zu kochen.
    Nein, Bären gibt es hier oben nicht. Auch keine Wölfe,

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