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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Kojoten oder Luchse. Flussabwärts, ja, nur ein Klicken auf deinem Kilometerzähler entfernt, nur einen Song im Radio auf dem Highway entfernt: Die Motels da unten müssen ihre Mülltonnen mit Ketten verschließen. Da unten wimmelt es im Schnee von Tatzenabdrücken. Und nachts heulen ganze Rudel den Mond an. Hier aber ist der Schnee immer unberührt. Sogar der Vollmond ist still.
    Flussaufwärts von der Lodge braucht man sich nur Sorgen zu machen, dass man sich tödlich verbrüht. Stadtmenschen, frisch vom College, bleiben gelegentlich ein paar Jahre. Irgendwie geben sie das Wissen weiter, welche Quellen man gefahrlos benutzen kann und wo man sie findet. Wo man nicht gehen sollte, denn oft besteht der Untergrund nur aus einer dünnen Kalkschicht, die wie massiver Fels aussieht, und wer da einbricht, stürzt in eine verborgene Thermalquelle und wird frittiert.
    Auch die Horrorgeschichten werden weitererzählt. Vor hundert Jahren machte eine Mrs. Lester Bannock aus Crystal Falls, Pennsylvania, auf einer Wanderung hier in der Gegend einmal Halt, um sich die beschlagene Schneebrille zu putzen. Der Wind drehte und blies ihr heißen Dampf in die Augen. Ein falscher Schritt, und sie war vom Weg abgekommen. Noch ein falscher Schritt, und sie verlor das Gleichgewicht, kippte nach hinten und landete mit dem Rücken in kochend heißem Wasser. Beim Versuch, aufzustehen, warf sie sich nach vorn und landete mit dem Bauch noch einmal im Wasser. Kreischend wurde sie von Fremden herausgezogen.
    Der Sheriff, der sie in die Stadt fuhr, beschlagnahmte jeden Tropfen Olivenöl, der in der Küche der Lodge zu finden war. In Öl getränkt, in saubere Laken gehüllt, starb sie, immer noch kreischend, drei Tage später im Krankenhaus.
    Und erst drei Sommer ist es her, dass ein junger Bursche aus Pinson City, Wyoming, hier seinen Pick-up parkte. Er machte den Wagen auf, sein Schäferhund sprang heraus, platschte zielsicher in eine Quelle und kläffte sich strampelnd zu Tode. Die anderen Touristen kauten auf ihren Knöcheln und rieten dem Burschen: Lass es; aber er sprang hinterher.
    Einmal kam er noch an die Oberfläche, seine Augen weiß und hartgekocht. Blind. Niemand bekam ihn zu fassen, und dann war er weg.
    Bis Ende des Jahres waren sie damit beschäftigt, ihn mit Netzen da rauszufischen, so wie man Laub und tote Insekten aus einem Swimmingpool holt. Wie man das Fett aus einem Topf Brühe schöpft.
    Hier pflegte Miss Leroy in der Bar der Lodge eine Pause einzulegen, damit die Leute sich das bildlich vorstellen konnten. Wie die Reste dieses Jungen den ganzen Sommer lang in dem heißen Wasser herumsprudelten, eine Hand voll Fritten, die langsam braun wurden.
    Miss Leroy zündete sich eine Zigarette an.
    Und sagte dann, als sei es ihr eben erst eingefallen: »Olson Read.« Und lachte. Als ob sie nicht in jeder Minute, jeder Stunde des Tages daran denken würde, sagte sie: »Olson Read, den hättet ihr erleben sollen.«
    Den großen, dicken, tugendhaften, unschuldigen Olson Read.
    Olson hatte als Koch in der Lodge gearbeitet, ein fetter, bleicher Mensch mit zu dicken Lippen, die sich wulstig und knallrot wie Sushi von seiner Klumpreis-weißen Haut abhoben. Er hatte ein Auge auf diese heißen Quellen. Immer wieder kniete er stundenlang daneben und starrte in die blubbernde braune Brühe.
    Ein falscher Schritt. Ein Ausrutscher auf der falschen Seite einer Schneewehe, und heißes Wasser macht mit dir, was Olson mit dem Essen machte.
    Gedünsteter Lachs. Schmorhuhn mit Klößen. Hart gekochte Eier.
    In der Küche sang Olson Kirchenlieder, so laut, dass man ihn im Speiseraum hören konnte. Oder er saß, ein Riese in flatternder weißer Schürze, deren im Rücken verknotete Bänder tief in seinen feisten Wanst einschnitten - saß im Halbdunkel an der Bar und las in der Bibel. Im Bier- und Rauchgestank des dunkelroten Teppichs. Wenn er sich im Pausenraum der Angestellten zu einem an den Tisch setzte, legte Olson das Kinn an die Brust und sprach einen weitschweifigen Segen über sein Mortadellasandwich.
    Sein Lieblingswort war »Gemeinschaft«.
    Als Olson einmal abends in die Vorratskammer kam und Miss Leroy beim Knutschen mit einem Pagen überraschte, irgendeinem abgebrochenen Kunststudenten aus New York, predigte er den beiden, Küssen sei des Teufels erster Schritt zur Unzucht. Mit seinen roten Gummilippen erzählte Olson Read überall herum, er spare sich für die Ehe auf; aber die Wahrheit war, dass er sich nicht weggeben konnte.
    Für Olson war

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