Die Kolonie
Pfund schwerer als zu dem Zeitpunkt, da Mr. Whittier uns als Geiseln genommen hatte.
Natürlich wollten wir alle genug zu essen übrig lassen, dass es bis kurz vor unserer Rettung reichte. Die letzten paar Tage, die wir dann wirklich fasten mussten, wirklich hungern und leiden mussten - die konnten wir dann in unseren Geschichten auf ein paar Wochen dehnen.
Das Buch. Der Film. Die kleine Fernsehserie.
Wir wollten nur gerade lang genug hungern, um zu bekommen, was Genossin Snarky »Todeslager-Wangenknochen« nannte. Je zerklüfteter dein Gesicht, sagt Miss America, desto besser siehst du im Fernsehen aus.
Diese sterilen Tüten waren so zäh, dass wir alle uns vom Killerkoch ein Messer erbitten mussten, eins aus seinem schönen Set von Tranchiermessern, Gemüsemessern, Hackmessern, Filetiermessern und Küchenscheren. Nur Missing Link mit seinem Fangeisengebiss hatte das nicht nötig, der nahm einfach seine Zähne.
»Ihr seid von Dauer, aber dieses Leben ist es nicht«, sagte Mr. Whittier. »Das hier ist kein Vergnügungspark, in dem man sich ewig tummelt.«
Nein, wir sind nur zu Besuch, und Mr. Whittier weiß das. Und wir sind hier, um zu leiden.
»Wenn ihr das akzeptieren könnt«, sagt er, »könnt ihr alles akzeptieren, was auf der Welt geschieht.«
Das Paradoxe daran: Wenn man das akzeptieren kann - wird man nie mehr unter irgendetwas leiden.
Stattdessen giert man nach Folter. Sehnt sich nach Schmerzen.
Mr. Whittier hatte keine Ahnung, wie Recht er hatte.
Einmal kam an diesem Abend der Killerkoch in den Salon, ein Ausbeinmesser in der Hand. Er sah Whittier an und sagte: »Die Waschmaschine ist kaputt. Jetzt müssen Sie uns ...«
Mr. Whittier blickte auf, kaute weiter an seinem staubtrockenen Truthahn Tetrazzini und sagte: »Was stimmt denn mit der Maschine nicht?«
Und der Killerkoch hob die andere Hand und hielt etwas hoch, nicht das Messer, sondern ein lose baumelndes Ding. Er sagte: »Irgendein verzweifelter Geiselkoch hat den Stecker abgeschnitten ...«
Das Ding, das ihm aus der Hand baumelte.
Danach konnten wir nicht mehr unsere Sachen waschen, noch so ein Handlungselement für die Geschichte, die uns reich machen sollte.
Mr. Whittier stöhnte auf und schob die Finger einer. Hand in seinen Hosenbund. Er sagte: »Mrs. Clark?« Seine Finger drückten auf die Stelle unter seinem Gürtel, und er sagte: »Das tut weh. ..«
Der Killerkoch ließ das abgeschnittene Kabel mit dem Stecker kreisen und sagte: »Ich hoffe, es ist Krebs.«
Die Finger in der Hose, versunken in seinen arabischen Polstern, krümmt sich Mr. Whittier zusammen, bis ihm der Kopf zwischen den Knien steckt.
Mrs. Clark tritt vor und sagt: »Brandon?«
Und Mr. Whittier rutscht stöhnend zu Boden, die Knie an die Brust gezogen.
Wir alle notieren uns das im Kopf für die Szene im Film, diese Szene, in der sich dann allerdings ein Filmstar in unechten Schmerzen auf dem rotblauen Orientteppich wälzen wird: »Brandon!«
Mrs. Clark hockt sich neben ihn und hebt die leere Mylar-Tüte auf, die er zwischen die Seidenpolster hat fallen lassen. Ihre Augen huschen über den Text, der dort aufgedruckt ist, und sie sagt: »Oh, Brandon!«
Wir alle versuchen, die Kamera hinter der Kamera hinter der Kamera zu sein. Die letzte Geschichte. Die Wahrheit.
In der künftigen Version dieser Szene - als Film oder Fernsehserie - lassen wir eine berühmte Schönheitskönigin und Schauspielerin sagen: »O mein Gott, Brandon! O nein, tu mir das nicht an!«
Mrs. Clark hält ihm die Tüte hin und sagt: »Du hast gerade zehn komplette Truthahn-Gerichte gegessen ...« Sie sagt: »Warum?«
Und Mr. Whittier stöhnt. »Weil«, sagt er, »ich groß und stark werden will...«
In der künftigen Version ruft die Schönheitskönigin: »Das reißt dich von innen in Stücke! Du wirst platzen wie ein entzündeter Blinddarm!«
In der Filmversion schreit Mr. Whittier; das Hemd spannt sich straff über seinem schwellenden Bauch, seine Fingernägel reißen die Knöpfe auf. Aber schon bekommt die stramme Haut Risse, sie geht auf wie die Laufmasche in einem Nylonstrumpf. Rotes Blut spritzt senkrecht hervor wie Wasser aus dem Blasloch eines Wals. Eine Blutfontäne: Die Zuschauer kreischen.
In Wirklichkeit sieht sein Hemd ein wenig zu eng aus. Er schnallt sich den Gürtel auf. Er öffnet den obersten Hosenknopf. Und lässt einen fahren.
Mrs. Clark hält ihm ein Glas Wasser hin und sagt: »Hier, Brandon. Trink.«
Und Sankt Prolaps sagt: »Kein Wasser. Das bläht noch mehr
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