Die Kolonie
begleiten?«
Und die Engel werden alle rot. Kichern über diesen harmlosen, komischen alten Mann. Sie setzen sich auf seinen Rollstuhlschoß, ihre trainierten, muskulösen Schenkel auf seinen spitzen, knochigen Knien.
Es ist nur normal, dass eines Tages einer dieser Engel für ihn ins Schwärmen geraten wird. Die Oberschwester oder ein Krankenpfleger, irgendjemand wird von einer dieser Freiwilligen zu hören bekommen, was für einen wunderbar jugendlichen Geist sich Mr. Whittier bewahrt hat. Wie voller Leben er immer noch ist.
Und die Schwester wird sie ansehen, unverwandten Blicks, den Mund offen, ziemlich lange offen, und dann wird sie sagen: »Ja, er benimmt sich wie ein kleiner Junge...«
Der Engel sagt: »Wir sollten alle im Alter so bleiben, so voller Leben.«
So guter Laune. So flott. So keck.
Mr. Whittier hat so was Inspirierendes. Das sagen sie oft. Diese Engel der Gnade. Diese Engel der Nächstenliebe. Diese dummen, dummen Engel.
Und die Schwester oder Pfleger antworten: »Die meisten von uns... hatten auch mal diesen Schwung.« Im Weggehen wird die Schwester sagen: »Als wir in seinem Alter waren.«
Er ist nicht alt.
Die Wahrheit kommt immer ans Licht.
Mr. Whittier leidet an Progerie. Die Wahrheit ist: er ist achtzehn Jahre alt, ein Teenager, der bald an Altersschwäche sterben wird.
Eins von acht Millionen Kindern leidet an Progeria infantum, dem Hutchinson-Gilford-Syndrom. Ein genetischer Defekt im Protein Lamin A lässt ihre Zellen verfallen. Die Kinder altern siebenmal so schnell wie normal. So dass der nicht mal neunzehnjährige Mr. Whittier mit seinen zu dicht stehenden Zähnen und den riesigen Ohren, mit seinem geäderten Schädel und den vorquellenden Augen, rein körperlich hundertsechsundzwanzig Jahre alt ist.
»Man könnte sagen...«, pflegt er den Engeln zu erklären und wedelt dabei ihre Bedenken mit einer runzligen Hand beiseite, »man könnte sagen, ich altere in Hunde jähren.«
In einem Jahr wird er an einem Herzleiden sterben. An Altersschwäche, bevor er zwanzig wird.
Danach lässt sich der Engel eine Zeit lang nicht blicken. Die Wahrheit ist: Das ist einfach zu traurig. Er ist ein Kind, womöglich jünger als ihre eigenen Kinder, und stirbt einsam in einem Pflegeheim. Dieses Kind, noch so voller Leben, und es sucht Hilfe bei den einzigen Menschen, die es noch hat - bei ihr -, bevor es zu spät ist.
Das ist zu viel.
In jeder Yogastunde, bei jedem Elternabend, immer wenn sie einen Teenager sieht, könnte sie in Tränen ausbrechen. Sie muss etwas unternehmen.
Also geht sie zurück, unser Engel, und versucht, ihr Lächeln ein wenig zu dämpfen. Sie sagt: »Ich verstehe.«
Sie schmuggelt ihm eine Pizza rein. Ein neues Videospiel. Sie sagt: »Wünsch dir was, und ich will sehen, was sich machen lässt.«
Der Engel schiebt ihn aus einem Notausgang, damit er mal einen Tag lang Achterbahn fahren oder sich im Einkaufszentrum vergnügen kann. Dieser minderjährige Tattergreis und eine schöne Frau, die so alt ist, dass sie seine Mutter sein könnte. Sie lässt sich beim Paintball von ihm niedermachen, die Farbe ruiniert ihr die Haare. Seinen Rollstuhl. Sie lässt sich beim Laser-Tick von ihm schlagen. Sie schleppt seinen runzligen, halb nackten Kadaver immer wieder die Treppe zu einer Wasserrutsche hoch, einen ganzen heißen Sommernachmittag lang.
Weil er noch nie in seinem Leben high war, klaut der Engel Stoff aus dem Vorrat ihrer Kinder und bringt Mr. Whittier bei, wie man mit einem Bong umgeht. Sie unterhalten sich. Sie mampfen Kartoffelchips.
Der Engel sagt, ihr Mann lebt nur noch in seinem Beruf. Ihre Kinder werden ihr immer fremder. Die Familie bricht auseinander.
Mr. W. sagt, seine Eltern kommen damit nicht zurecht. Die haben noch vier andere Kinder. Das Pflegeheim können sie sich nur leisten, seit sie ihn unter die Vormundschaft des Gerichts gestellt haben. Seither besuchen sie ihn immer seltener.
Und wenn er das erzählt, begleitet von sanften Gitarrensongs, fängt Mr. W. an zu weinen.
Sein allergrößter Wunsch ist es, jemanden zu lieben. Richtig Liebe zu machen. Nicht als Jungfrau zu sterben.
Und schon quellen ihm die Tränen aus den kifferroten Augen, und er sagt: »Bitte...«
Dieses runzlige alte Kind, es schnieft und sagt: »Bitte, nenn mich nicht immer Mister.«
Der Engel streichelt ihm den kahlen fleckigen Schädel, und er sagt zu ihr: »Ich heiße Brandon.«
Und er wartet.
Und sie sagt es:
Brandon.
Und dann tun sie es natürlich.
Sie, sanft und
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