Die Kolonie
beobachtete die
beiden.
Bahjat war schmäler als früher, und ihre Backenknochen
standen noch stärker hervor, aber ihre Augen waren klar.
Er verbrachte den Nachmittag mit ihr. Die Alte ließ Bahjat
aufstehen und mit David einen Spaziergang rund ums Dorf machen. Vier
junge Mädchen folgten ihnen in respektvoller Entfernung.
»Ich glaube, ich werde morgen reisebereit sein. Meine Beine
sind kräftig, nur im Kopf ist mir noch etwas
schwindlig.«
David aber meinte: »Das macht die Höhenluft. Wir
müssen mindestens zweitausend Meter hoch sein.«
»Wo sind wir eigentlich?« fragte sie. »Was ist
geschehen? Ich kann mich an den Lastwagen und später an ein
Flugzeug erinnern…«
David erzählte ihr, wie sie von den peruanischen Jägern
verfolgt wurden und wie der Pilot sie hier in den Bergen ausgesetzt
hatte.
»Aber die Indianer haben gut für uns gesorgt, und sie
haben mir eine Straße gezeigt, die irgendwann zu einer Stadt
führen muß. Der Pilot meinte, wir wären etwa
fünfzig Kilometer von Ciudad Nuevo entfernt, und wenn Ihre
Freunde immer noch da sind…«
»Sie haben mich mitgenommen? Warum haben Sie mich nicht
sitzen lassen, damit mich die Polizei aufklaubt, und haben sich nicht
selbst gerettet?«
David aber meinte überrascht: »Ich hab’s nun mal
getan.«
»Merken Sie denn nicht, daß Sie unser Gefangener sind,
sobald ich Kontakt mit der RUV aufnehme?«
Er zuckte die Achseln. »Daran habe ich nie gedacht.«
Am nächsten Morgen führte der Häuptling David aus
der Hütte, sobald sie ihre Schüssel mit Brei geleert
hatten. Das ganze Dorf schien zu wissen, daß die Gäste
nunmehr aufbrachen. Die Alte entließ Bahjat aus ihrer
Hütte, und als sich die beiden auf dem Dorfplatz begegneten,
scharten sich die Dorfbewohner um sie.
Der Häuptling überreichte ihnen je eine rot-blaue Decke
in feierlichem Schweigen.
»Sie sind wunderschön«, sagte Bahjat, als sie ihre
Decke entgegennahm. »Wo haben sie die her?«
»Wahrscheinlich haben sie Schafe irgendwo höher in den
Bergen«, sagte David. »Oder sie tauschen sie ein gegen
Pelze.«
Auch andere Dorfbewohner traten vor und brachten ihnen
Säckchen mit Korn und kleine, verzierte Schüsseln.
»Für die Reise«, bemerkte Bahjat.
David nickte und dachte an sein eigenes Geschenk, das er
darzubieten bereit war. Er trat zum Häuptling und zeigte auf das
Messer, das dieser im Gürtel trug.
Die Miene des Häuptlings verdüsterte sich, doch dann zog
er das Messer aus der Lederscheide und reichte es David.
David kehrte zu dem kleinen Haufen seiner Schätze
zurück, die man ihm geschenkt hatte und nahm eine kleine
Schüssel in die linke Hand. Dann schlitzte er mit dem Messer,
das er trug, seinen muskulösen Unterarm auf. Der Schnitt war
nicht tief, aber er klaffte sofort auseinander, und das Blut begann
zu tropfen.
Die Dorfbewohner staunten, und Bahjat vergaß den Mund zu
schließen. David gab dem Häuptling das Messer zurück
und setzte die Schale unter den Schnitt. Einige Tropfen Blut fielen
in die Schale, die er jetzt dem Häuptling reichte.
»Das ist alles, was ich jetzt zu bieten habe«, meinte
David und breitete die Hände aus.
Der Häuptling schien tief bewegt. Er hielt die Schale in der
ausgestreckten Hand, das blutige Messer in der anderen. Dann hob er
beides hoch und wandte sich den Dorfbewohnern zu, damit alle es sehen
konnten. Ein zustimmendes Murmeln ertönte.
»Sie bluten immer noch«, flüsterte Bahjat.
»Es wird gleich aufhören«, erwiderte David.
»Ich habe einen sehr hohen Gerinnungsfaktor.«
Und dann merkte er, was der Häuptling vorhatte. Der Mann mit
dem Silberhaar, der unerschütterlich und fest schien wie die
Berge, setzte die Schale an die Lippen und trank Davids Blut.
»Inschallah!« flüsterte Bahjat.
Dann ritzte sich der Häuptling den Arm auf, ließ das
Blut in die Schale tropfen und reichte sie David.
»Sie werden wohl nicht…« Bahjats Stimme erstarb,
während David das Blut des Häuptlings trank.
Die Dorfbewohner brachen in Rufe aus, der Häuptling aber hob
die Hand und setzte sie fest auf Davids Schulter. Er sagte nichts.
Hier war jedes Wort überflüssig. Sie standen eine Weile
wortlos gegenüber, während das ganze Dorf sie beobachtete
und der Gebirgswind über sie hinwegwehte.
Schließlich trat der Häuptling einen Schritt
zurück. David nahm die Nahrungsmittel und die Decken an sich,
und dann brachen Bahjat und er auf. Der Häuptling gab ihnen zwei
Männer mit, die sie durch die Wälder zur
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