Die Kolonie
selbst. Sie haben die gleiche Chance wie ich.«
Hamud riß die Pistole wutschnaubend aus dem Gürtel und
schlug sie dem alten Mann ins Gesicht. Cobb flog aus seinem Sessel
und landete mit einem dumpfen Laut auf dem Teppichboden.
»Du Narr!« rief Bahjat. »Wann wirst du endlich
lernen…«
»Schnauze, du blödes Weib!« brüllte Hamud
zurück, immer noch die Pistole in der Hand. Am Pistolenlauf
waren Blut- und Hautfetzen. » Ich werde den Verräter
finden. Schafft diese englische Nutte her – aber
schnell!«
Sobald er sich im biochemischen Labor befand, machte David keine
Anstalten mehr, sich vor den Terroristen zu verstecken. Zunächst
aber hatte er einiges zu erledigen.
Das Labor nahm die ganze Plattform ein, ein riesiges,
unübersichtliches Labyrinth aus Glasbehältern,
Plastikrohren, rostfreien Stahlwannen, Röhren, Kanälen und
merkwürdigen kristallinen Strukturen, zwischen denen sich
Begehungsbühnen schlängelten. Königreich Oz hatte
David diese skurrile Landschaft seinerzeit genannt, doch die Zauberei
war hier Wirklichkeit und konnte über Leben und Tod
entscheiden.
Über diesem Wald aus Chrom und Kristall schwebte das
Kontrollbüro, eine Gondel vollgestopft mit Pulten,
Computerterminals und Bildschirmen. Die Rundumfenster waren nach
außen geneigt, so daß man auf die Apparatur nach unten
blicken konnte. Türen gingen auf die Begehungsbühnen
hinaus, die sich über diesen Urwald aus Glas und Metall
hinzogen. Direkt über der Gondel befanden sich die schweren
Metallträger, die die Plattform zusammenhielten.
Die tischförmigen Konsolen innerhalb des Raums kontrollierten
alle Bereiche des Labors, angefangen von der Temperatur bis hin zu
der Drehzahl, mit der sich die Plattform bewegte – und auf diese
Weise ihre künstliche Schwerkraft erzeugte. David verbrachte
fast eine halbe Stunde damit, die Kontrollprogramme des hauseigenen
Computers durchzugehen und sicherzustellen, daß er den Computer
mit Hilfe seines implantierten Kommunikators betätigen
konnte.
Er setzte sich ans Bildtelefon, zog Bahjats Pistole aus dem
Gürtel und legte sie auf die Tischplatte. Dann wählte er
Cobbs Nummer.
Auf dem Bildschirm erschien das verkrampfte Gesicht Hamuds.
»Du!« brüllte der RUV-Führer auf. Seine
Miene drückte Überraschung, Wut, Erleichterung und Angst
aus.
»Wo ist Dr. Cobb?« fragte David.
»Wo bist du?«
»Wo ist Dr. Cobb?« wiederholte er plötzlich
sorgenvoll. »Was habt ihr mit ihm gemacht?«
Das Bild wurde größer, und David erblickte Leo, der
Cobb stützte. Auf der Stirn des alten Mannes zog sich eine tiefe
Schramme vom Haaransatz bis zu den Brauen. Sein Haar war
blutverklebt, und Blut rann ihm übers Gesicht. Seine Lippen
waren geschwollen und liefen blau an.
David durchfuhr die Angst wie ein Blitz. Doch zu seiner eigenen
Überraschung ebbte die Wut sofort wieder ab, und eine
kühle, berechnende Klarsicht kam über ihn, so tief und kalt
wie der Weltraum.
»Wir werden diesen alten Mann töten«, sagte Hamud,
»wenn du uns nicht sagst, wie wir uns gegen die Krankheit wehren
können, mit der du uns angesteckt hast.«
»Du weißt also, daß ich dich angesteckt
habe?«
»Ja. Und du wirst uns heilen, oder er wird eines qualvollen
Todes sterben.«
»Wo ist Bahjat?« fragte David.
»Sie ist bewußtlos.« Die Videokamera war auf einen
weiten Winkel eingestellt, so daß David Hamuds Hände sehen
konnte. Und diese Hände bebten. Auch Leo sah ziemlich mies aus.
Cobb war kaum bei Bewußtsein und hing wie eine Puppe in den
Armen des Riesen.
Dann tauchten zwei Guerillas auf und stießen Evelyn ins
Blickfeld der Kamera. Auch sie sah angegriffen aus.
»Auch sie wird sterben«, sagte Hamud, »langsam und
qualvoll. Und jeder in der Kolonie… einer nach dem anderen, wenn
du uns das Gegenmittel nicht nennst.«
David schüttelte den Kopf. »Dazu wirst du keine Zeit
mehr haben. Ihr alle werdet in wenigen Stunden tot sein, lange bevor
ihr auch nur ein paar Leute umbringen könnt. Dr. Cobb ist ein
alter Mann. Und die Engländerin…« Er zwang sich zu
einem Achselzucken. »Was soll’s? Sie steht dir näher
als mir.«
Hamud pflanzte die Fäuste aufs Pult. »Wo bist du? Wie
heißt das Mittel?«
»Es gibt kein Mittel«, sagte David, »nicht für
dich. Du wirst sterben. Vielleicht gelingt es mir, die anderen zu
heilen… aber dich nicht, Tiger. Du wirst eines qualvollen Todes
sterben. Und zwar als erster. Weil du der erste warst, den ich
infiziert habe.«
Hamuds Augen glühten wie höllische Kohlen.
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