Die Kolonie
ganz
zähmen können!«
Bahjat zupfte ihn am Ärmel. »Kommen Sie mit zur
Hacienda. Dort gibt es Aspirin.«
»Nein…« David entfernte sich einige Schritte von
der Fähre und spürte den Boden unter den Füßen.
»Nein, ich möchte das sehen. Ich möchte den
Sonnenaufgang betrachten.«
Sie lachte. »Das kann noch einige Stunden dauern.«
»Das macht mir nichts aus.«
Im Licht der Sterne konnte er ihren Gesichtsausdruck kaum
erkennen. Aber ihre Stimme klang irgendwie mißtrauisch.
»Es wäre unklug zu fliehen. Im Umkreis von mehr als hundert
Kilometern gibt es keine Häuser.«
»Wo steht der Mond?« fragte David und drehte sich einmal
um seine Achse.
»Er wird in etwa einer Stunde aufgehen.«
»Oh. Und dieses helle licht da oben«, meinte er und
deutete nach oben, »das muß Eiland Eins sein.«
Sie schaute ihn aufmerksam an. Entweder leidet er noch an dem
Schock von dem Gas, oder er will mich ablenken, damit er mir
entkommt.
»Sie können nicht die ganze Nacht hier
herumstehen«, sagte sie. »Die anderen sind…«
»Warum nicht?« fragte er einfach.
»Die anderen sind alle schon auf der Hacienda.«
»So? Nun, die waren alle schon einmal auf der Erde, ich noch
nicht. Es ist wunderschön!«
»Sind Sie in Selene geboren?« fragte sie.
David schüttelte den Kopf. Seine Kopfschmerzen hatten
nachgelassen. »Auf Eiland Eins. Ich habe mein ganzes Leben auf
Eiland Eins verbracht – bis vor ein paar Wochen.«
»Sie müssen aber jetzt wirklich rein«, beharrte
sie.
»Ich will aber nicht. Ich habe mein ganzes Leben drin verbracht!«
Bahjat trug keine Waffe. Er ist viel größer als ich,
und gut in Form. Sie überlegte einen Augenblick, dann zuckte
sie die Achseln. Ich kann immer noch die Wache rufen. Und wo soll
er denn hin? Auf dieser Ebene kann er sich nirgendwo
verbergen.
»Nun gut«, meinte sie. »Kommen Sie mit mir kurz ins
Haus, und dann können wir wieder hinausgehen und den Mondaufgang
beobachten.«
Es ging alles viel langsamer vor sich als auf Eiland Eins. David
und Bahjat saßen im duftenden Gras und beobachteten das
herrliche Schauspiel des Mondaufgangs. Er war zu sehr verloren, zu
sehr umfangen von all dem Neuen, das ihm die Erde bot, um zu
sprechen. Doch Bahjat hatte das Bedürfnis pausenlos zu reden,
als ob sie sich selbst rechtfertigen, als ob sie sich bei ihm
entschuldigen und alles erklären müßte.
»…es kann schwer, gefährlich, selbst hart werden.
Doch wir können die Diktatur der Weltregierung nicht einfach
hinnehmen. Wir brauchen Frieden!«
»Aber die Weltregierung ist keine Diktatur«, erwiderte
er, den Blick immer noch auf den langsam steigenden Mond geheftet. Ich will verdammt sein, aber er sieht wirklich wie ein Gesicht
aus!
»Sie kassieren bei uns die Steuern und leisten nichts
dafür«, fuhr Bahjat fort. »Alles wird in einen Topf
geworfen, alles wird vereinheitlicht, wird grau und eintönig.
Warum müssen sich Araber wie Europäer kleiden, wer soll
sich wie ein Amerikaner, wer wie ein Chinese anziehen?«
»Also darum haben Sie das Shuttle gekapert – weil Ihnen
Ihre Kleidung nicht gefällt?«
»Nun werden Sie sarkastisch.«
David wandte den Blick vom Himmel. »Sicher«, gab er zu.
»Aber Sie waren auch nicht besonders realistisch. Die Steuern,
die die Weltregierung erhebt, sind weitaus niedriger als das
Rüstungsbudget des Irak und der anderen Länder, bevor die
Weltregierung ins Leben gerufen wurde.«
»Wenn die Steuern geringer sind, warum haben wir dann heute
viel mehr Arme als früher? Warum müssen die Leute in den
Straßen vor Hunger sterben?«
»Weil sie sich wie Karnickel vermehren«, gab David
zurück. »Wie hoch ist jetzt die Zahl der
Erdbevölkerung? Mehr als sieben Milliarden? So lange die
Geburtenziffer so hoch ist, steuert die Welt auf eine Katastrophe
zu.«
»Ich spreche von sterbenden Menschen«, meinte Bahjat.
»Von Müttern, Kindern, alten Leuten – die überall
auf der Welt dem Hungertod preisgegeben sind!«
»Aber das ist kein Fehler der Weltregierung.«
»Natürlich. Wessen Fehler sonst?«
»Ich meine, die Leute, die so viele Kinder haben. Diejenigen,
denen diese hohe Geburtenziffer zu verdanken ist.«
»Sie sind unwissend und verschreckt«, sagte Bahjat.
»Dann muß man sie aufklären«, gab David
zurück. »Und sie versorgen. Das geeignete Mittel dazu ist,
Raumfähren zu kapern und Leute festzuhalten.«
»Wir können sie nicht ernähren. Die reichen
Völker behalten ihren Wohlstand für sich. Sie und die
Weltregierung werden von den
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