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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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ihn Eisenroth 3.«
    Eisenroth 3, es war nicht nur ein Trost. Darin steckte ein großer Teil Wahrheit, und darauf bestand Livingston. Nach den alten Regeln der Jäger war nur eins entscheidend: Tom hatte den Kometen gesehen, noch bevor die erste offizielle Meldung ergangen war. Er hatte ihn ohne fremde Hilfe gefunden. Und Livingston sagte, er werde dafür sorgen, dass die Welt davon Wind bekam.
    An diesem Abend öffneten wir eine Flasche Wein und stießen auf den Besucher an. Alles sprach dafür, dass es einer jener Kometen war, die mehrere tausend oder sogar zehntausend Jahre brauchten für einen Umlauf um die Sonne. Livingston bezweifelte, dass dieser hier überhaupt je in ihre Nähe gekommen war. Draußen in der Oort’schen Wolke, im kältesten Weltall, zweihundert Mal weiter von der Sonne entfernt als Neptun, der fernste Planet, schwebten Millionen solcher Bälle aus Eis und Staub. Warum sie überhaupt je von dort aufbrachen, wusste noch niemand. Man nahm an, dass es galaktische Gezeiten waren, die sie antrieben, vorüberfliegende Sterne oder Kollisionen mit interstellaren Materiewolken. So wurden sie aus der ewigen Kälte auf Kurs in Richtung der Sonne geworfen und neu geboren, aus »kometaren Körpern« wurden Kometen. Und was wir sahen, war vielleicht eins dieser jungfräulichen Objekte. Ein Komet, der zum ersten Mal in seinem langen Leben zu leuchten begonnen hatte.
    »Meinen Sie, er bekommt noch einen Schweif?«, fragte ich Livingston, als wir an jenem Abend in der Garage die Position von Eisenroth 3 überprüften. Der staubige kleine Ball hatte sich inzwischen um ein halbes Grad weiterbewegt. Er schien Livingston mit Stolz zu erfüllen.
    »Er wird wohl nahe genug rankommen. Hoffen wir, dass ihm nicht die Luft ausgeht.«
    Ich betrachtete eine Weile stumm den unauffälligen Schneeball. Sehr bald würde er groß und hell werden, und vielleicht würden dann noch mehr Menschen darüber sprechen, und Toms Name wäre untrennbar damit verbunden. Ich wollte Livingston eine Frage stellen, aber ich musste sie im Kopf hin und her wälzen und vorformulieren, bevor ich mich traute: »Glauben Sie, dass das ein Symbol ist?«
    Er wandte sich von seinem Teleskop ab und mir zu. »Wie meinen Sie das?«
    »Ob sein Auftauchen etwas bedeutet.«
    »Das bezweifle ich«, sagte Livingston.
    »Aber alles an den Kometen sieht aus, als hätte es eine symbolische Bedeutung.«
    Livingston blickte wieder durch sein Okular. Dann sah ich ein mildes Lächeln über sein Gesicht wandern.
    »Wissen Sie«, sagte er. »Es ist nicht schwierig, sie als Metapher zu verstehen. Viel schwieriger ist es, sie als Tatsachen zu verstehen.«
    Ein neuer Stern, ein neuer König: Für uns bekam der alte Aberglaube eine ganz eigene Bedeutung. Tom war plötzlich ein gefragter Mann. Auch er saß nun ständig am Telefon, um mit Reportern der Wissenschaftsmagazine, ahnungslosen Tageszeitungsschreibern und mit Mr. Marsden vom Kleinplanetenzentrum zu sprechen. Livingston hatte Wort gehalten. Er sorgte dafür, dass die Welt davon erfuhr.
    Bradfield übersandte Glückwünsche aus Australien, Murakami meldete sich per E-Mail, der berühmte Mr. Levy und sogar die berühmte Mrs. Shoemaker (Shoemaker-Levy 1 bis 9) riefen direkt an und erkundigten sich nach dem begabten jungen Mann. Das alte Netzwerk der Kometenjäger funktionierte immer noch. Plötzlich nahmen sie Gestalt an, plötzlich kamen sie aus ihren Höhlen, all die Menschen, die ich bislang nur aus Toms Legenden kannte.
    Und das bedeutete, Tom war in ihre Reihen aufgenommen.
    Er war jetzt einer von ihnen.
    Aber auch Livingston hatte sich verändert.
    Tagsüber redete er nur noch in Versen und Shakespeare-Zitaten: »Hung be the heavens with black, yield day to night!«, deklamierte er singend. »Comets, importing change of times and states. Brandish your crystal tresses in the sky.« Heinrich der Vierte? Nein, der Sechste! In den hellwach blitzenden Augen hinter seinen Brillengläsern erahnte ich plötzlich den jungen Mr. Livingston, den ich bisher nur aus Erzählungen kannte. Und wie die Kojoten nachts um seine Wasserstelle schlichen, begann Livingston seine Teleskope zu umkreisen. Der Jagdinstinkt begann sich zu regen. Wir konnten zusehen, wie sein altes Leben langsam wieder Besitz von ihm ergriff.
    Abends blieb seine Couch jetzt meistens leer, die Fernsehserien musste ich allein sehen. Ich fand ihn in der Garage im Rotlicht. Zwischen hochgefahrenen Rechnern und ausgebreiteten Sternkarten saß er da und sah mich

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