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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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schuldbewusst an, als hätte ich ihn bei etwas ertappt.
    Wenn er und Tom glaubten, unter sich zu sein, redeten sie nur noch über Sonnenwind, Lichtdruck und Fluoreszenz. Wenn sie bemerkten, dass ich ihnen zuhörte, taten sie dasselbe. Ich erkannte Livingston, meinen Freund und umsichtigen Gastgeber, nicht wieder. Unter meinen Augen schien er sich in jemanden zu verwandeln, der Tom verblüffend ähnlich war. In einen Verrückten. Nach dem Abendessen, wenn ich sie ohne Widerrede entließ, stahlen sich die beiden hinaus, in einer exaltierten Stimmung wie Teenager am Samstagabend, und am späten Vormittag saßen sie beide mit roten Augen in der Küche.
    Und endlich begriff ich: Unsere gemeinsame Reise war zu Ende. Sie brauchten mich nicht mehr.
    Der Canyon sah aus, als hätten wir tausend Jahre verschlafen. Tom und ich erkannten das Land kaum wieder, als wir an einem wolkenfreien Vormittag eine Wanderung unternahmen. Die alte Vegetation war teilweise verschwunden, und dafür hatte sich eine neue gebildet: Farne wuchsen im Schatten der Felsen, und in den ausgewaschenen Bachbetten, durch die die Fluten gegangen waren, lag eine Spur aus Tonscherben, Sand und Steinen. An den bleichen Stämmen der Sykomoren schob sich meterhoch der angespülte Schutt empor, ein paar der mächtigsten Bäume fanden wir bis zu den Wurzeln freigelegt oder umgeknickt. Vom Wasser selbst sahen wir nicht viel. Es war gekommen und wieder gegangen. Hier und da umrundeten wir brackige, braune Tümpel, voller Erdreich, das vielleicht aus irgendeinem anderen Teil Arizonas hierhergespült worden war.
    Tom kam mir sehr gelöst vor, am Vorabend hatte er zum ersten Mal seit vielen Wochen mit seinem Vater gesprochen und erfahren, dass der Verkauf des Teleskops Fortschritte machte. Nach der Besichtigung, die sehr rasch und ohne viele Worte verlaufen war, hatte Sid Koenig ihm sofort einen Vertragsentwurf ausgehändigt. Whistler machte nur ein einziges Angebot. Über 250.000 Dollar – genügend, um sämtliche Bankschulden und privaten Verbindlichkeiten zu begleichen.
    »Mein Vater kann jetzt praktisch von vorn anfangen«, sagte Tom. »Er steht wieder bei null. Jetzt kann er neue Schulden machen.«
    Am Eingang des Canyons kletterten wir ein paar Felsvorsprünge hinauf, um die Folgen des Regens von oben zu betrachten. Es musste eine ziemlich große Flut hindurchgegangen sein. Im Blattwerk der Pappeln, die unten am Rande der Felsen standen, hatten sich Wurzeln und fremde Äste verfangen, die fünf oder sechs Meter hoch hingen.
    »Wirst du heimfahren?«, fragte ich ihn.
    »Nein«, sagte Tom. »Livingston kann hier bestimmt noch etwas Hilfe brauchen. Die Tage werden ja wieder kürzer.«
    »Wenn du noch länger bleiben willst, brauchst du ein Visum«, sagte ich zu Tom. »Oder eine Green Card.«
    »Ich hab darüber nachgedacht«, sagte Tom.
    »Und?«
    »Wenn Sid Koenig sagt, dass er mich braucht, könnte ich noch ein befristetes Visum kriegen.«
    Ich lachte. »Wieso sollte er das machen?«
    »Wir haben es so verabredet«, sagte Tom. »Sonst hätte er das Teleskop nicht bekommen.«
    »Ach du meine Güte«, sagte ich und sah ihn verwundert an. Ich hätte ihm alles zugetraut, aber das nicht.
    »Und du?«, fragte Tom.
    »Ich muss wohl fahren«, sagte ich zu ihm. »Außer ich arbeite auch für Sid Koenig.«
    Wir lachten beide. Tom sah zu Boden und kickte losgelöste Stückchen Wacholderrinde durch die Gegend.
    »Du könntest an der Green-Card-Lotterie teilnehmen«, sagte er.
    »Nein«, sagte ich. »Das werd ich bestimmt nicht.«
    »Aber eine bessere Gegend als hier findest du nicht.«
    »Ich denke, ich kann überall arbeiten.«
    »Und was ist mit deinen Zeichnungen?«
    »Zu Hause zeichne ich aus dem Gedächtnis weiter.«
    »Tja«, sagte Tom. Und mehr sagte er nicht dazu.
    Inzwischen hatten wir die Oberkante des Canyons erreicht und konnten weit über die verwüstete Landschaft blicken. Wir gingen ein Stück über das Plateau und versuchten, auf der anderen Seite hinabzusteigen in einen Nebencanyon. Es war schon später Nachmittag, als wir noch immer zwischen hohen Pinyon-Kiefern in den Bergen herumkletterten. Ich blickte an den glatten steilen Felszinnen hinauf, wo die üblichen Raubvögel über uns kreisten, und sah einen großen Vogel lautlos durch einen Spalt segeln und in unsere Richtung herabsinken. Dann zog er über uns vorbei und schwebte den Hang entlang, wo ich ihn im Sonnenlicht verlor. Es kam mir vor, als hätte ich einen Moment lang ein leuchtendes Rot

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