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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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an.«
    Wir blickten beide hinauf. Es war wie in einen großen Abgrund hineinzusehen. Rund um uns hatte sich eine einzige Wolke formiert, die wie eine bösartige Riesenqualle über uns schwebte, und wir sahen direkt in die Mitte, ins schwarze Herz des Gebildes hinein. Außen an ihren Rändern zerfaserte die Wolke, der Sturm riss Fetzen von ihr, die spiralförmig auseinanderdrifteten.
    »Mach doch wenigstens das Dach zu«, rief ich. »Du kannst auch unten beim Haus auf den Regen warten.«
    »Stimmt«, sagte er, als fiele ihm das erst jetzt ein. Gemeinsam dichteten wir die Hütte ab, und Tom verschloss sie von außen. Es war allerdings schon zu spät. Kaum hatten wir uns in Bewegung gesetzt, begann der Regen. Es war ein Regen, wie ich ihn noch nicht erlebt hatte. Er kam plötzlich über uns herab und fiel so hart, dass der Boden um uns dampfte. Sofort bildeten sich Bäche, die links und rechts von uns den Hügel hinabrannen.
    Mit viel Gebrüll rannten wir in Richtung Haus. Der Regen trieb uns in Wellen entgegen, die wie Ozeanbrecher an uns zerbarsten. Meine Angst vor den Dornbüschen vergaß ich, ich wollte mich nur noch vor dem Wasser in Sicherheit bringen. Dann, endlich, standen wir unter dem Vordach des Hauses. Der Teich hinter Livingstons Garten hatte sich schon halb in einen See mit überschwappenden Ufern verwandelt. Tom und ich schauten in das aufgepeitschte Prasseln, und ich zog Dornen aus meinem Bein.
    Am Morgen sagte Livingston, die Jahreszeiten seien verrückt geworden. Der Monsun habe viel zu früh begonnen, mitten im Frühsommer. Ich fragte ihn, was das bedeute, und er sagte, dass es sehr viel Wasser bedeute. Wir müssten uns darauf einstellen, dass bald größere Unwetter kämen. Größere Unwetter? Natürlich, sagte Livingston. Was wir gesehen hätten, sei noch nichts.
    Schon am Mittag rollte erneut der Donner durch den Canyon. Tom und ich beobachteten, wie die Wolken über die Kanten der Berge jenseits von Portal trieben. Der alte Herr in der Safariweste, bei dem wir die Ferngläser zurückgaben, war in gesprächiger Stimmung. Er bedauerte, dass der Regen nun schon im Frühsommer eingetroffen sei und wir unseren Urlaub leider abbrechen mussten.
    Ich verstand ihn nicht ganz. »Wieso abbrechen?«, fragte ich. Es gebe doch nur vereinzelte Unwetter.
    Er sah mich neugierig über die Oberkante seiner Brillengläser an. Ja, richtig, es seien nur Unwetter, aber hier von einem Unwetter überrascht zu werden, sei nicht das Gleiche wie in Europa. In der Wüste habe Wasser die Eigenschaft, rasch zu fließen. Es sammle sich in den Trockenrinnen und bewege sich auf die Nadelöhren der Canyons zu, wo es ohne jede Vorwarnung auftauche: als reißende braune Flut, die Felsen, Schutt und Baumstämme mit sich führe. Wer sie aus der Nähe erlebe, der werde niemals davon berichten können. Siebzig, achtzig Meilen weit würden die Leichen fortgespült. Wenn man sie finde, dann trügen sie keine Kleider mehr am Körper und nicht ein Knochen in ihrem Leib sei noch heil. »Wissen Sie«, schloss er seinen kleinen Vortrag, »was in der Wüste die beiden häufigsten Todesarten sind? Verdursten und Ertrinken!« Und damit verstaute er die Ferngläser in seinem Schrank und wünschte uns noch viel Freude bei unserem weiteren Aufenthalt.
    Es dürfte niemanden verwundern, dass Tom und ich die nächsten Tage nicht auf ausgedehnten Wanderungen verbrachten. Selbst bei klarem Himmel blieben wir im Haus. In Douglas, hörten wir, seien Straßenabschnitte überschwemmt, die Gullys liefen über, und der Strom war ausgefallen. Es sprach wohl nichts dagegen, den Monsun auszusitzen und das Schauspiel vom Dachboden aus zu genießen.
    Über New Mexico bauten sich Cumulustürme auf, größer als alles, was ich bisher gesehen hatte. Sie warfen gewaltige Schatten durch die Luft. An den stillen Nachmittagen war es, als wäre jeder Stein mit elektrischer Spannung aufgeladen. Man wartete immer auf den nächsten Sturm. Und mit uns schien die ganze Wüste auf diese gewaltigen Ereignisse zu warten, die neues Wasser in ihre ausgetrockneten Adern pumpten. Gewitterfronten trieben auf die Berge zu und brachen sich an Felskanten, die Unwetter kämpften sich von oben in die Canyons hinein, so lange, bis die Luft endlich explodierte und die Blitze zuckten. Die Mexikaner hatten ein Wort für diese Unwetter: »Chubascos«.
    Die ganze Familie rückte in dieser Zeit zwangsläufig etwas enger zusammen. Livingston und Tom begegnete ich nun viel öfter im Haus. Vor allem

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