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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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folgen konnte, bei der scheinbar jedem Bullauge auf dem Schiff und jedem Mitglied des Kombüsenpersonals ein eigenes Kapitel gewidmet war. Aber Tom ließ nichts auf das Buch kommen, auch nicht auf den Captain, einen braven, mutigen Mann, der höchstens ein paar dunkle Anwandlungen hatte. Ich fragte mich, ob er das Buch richtig verstanden hatte.
    »Aber der Captain ist wahnsinnig, oder nicht? Sie sterben alle wegen ihm.«
    »Das ist doch egal. Ohne den Captain wären sie nie aus dem Hafen herausgekommen.«
    In den folgenden Wochen sahen wir uns öfter. Das Experiment nahm seinen Lauf. Gegen Ende Oktober hatte ich mich offenbar so weit bewährt, dass Tom mir ein Geschenk machte, das, wie ich erst später verstand, ein besonderes Privileg war. Er ließ mich den ersten Blick durch sein großes Teleskop werfen.
    Den Planeten Saturn durch den Apparat der Gebrüder Clark zu betrachten, war ähnlich, wie einen Filmstar auf der Straße zu treffen. Nicht dass ich schon viele getroffen hätte, aber von den wenigen zufälligen Sichtungen an Bahnhöfen oder Flughäfen wusste ich: Man erwartet sich vom direkten Anblick des Originals eine neue Perspektive, irgendein »er ist ganz anders, als ich dachte« oder »in Wirklichkeit sieht er noch viel besser aus«, aber das besonders Überraschende und merkwürdig Unerwartete besteht darin, dass das Original haargenau so aussieht, wie es aussehen sollte. Ich hatte den gelblichen Ball mit seinen Ringen sicher tausendmal auf Fotos gesehen, und nun, im Morgengrauen, schwebte genau derselbe Ball provozierend deutlich vor mir, auf seiner dunstig graugelben und konturlosen Oberfläche war nichts Besonderes, aber die Ringe sah ich in einer kristallinen Klarheit, die mich minutenlang gebannt hielt. Die Achse des Planeten war so geneigt, dass man fast von oben auf die Ringe blickte. In ihrer Mitte sah ich den scharfen Riss, der wie mit einem Zirkel gezogen zwei perfekte weiße Bahnen voneinander schied.
    »Dein erstes Mal?«, fragte Tom – und ich nickte nur stumm.
    »Es ist immer unglaublich«, sagte er nach ein paar Minuten. »Man kann sich nicht vorstellen, wie er früher gewirkt haben muss. Als die Astronomen ihn zum ersten Mal so gesehen haben.«
    »Wussten sie überhaupt, was der Saturn ist?«
    »Ja, natürlich, er war ja schon im Altertum bekannt. Aber dann hat es noch zweitausend Jahre gedauert, bis es Teleskope gab und die Ringe entdeckt wurden. Huygens, ein Holländer, hat sie als Erster gesehen. Und Cassini, ein Franzose, hat gleich mehrere Ringe gesehen. Deswegen heißt die Spalte zwischen den Ringen Cassini-Teilung.«
    »Sie haben sogar die Spalte nach jemandem benannt?«
    »Ja.«
    Ich musste unwillkürlich lachen. »Wer bestimmt so was?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht konnte man den Dingen noch selber Namen geben.«
    Wir waren etwa zwei Stunden nach Sonnenuntergang in sein Observatorium gekommen. Tom hatte die Kuppel geöffnet und das große Metallrohr mit einem Seilruck auf einen Punkt in der Nähe des Horizonts gerichtet. Ich war überrascht gewesen, wie leicht sich das Monstrum bewegen ließ. Tom konnte es mit einem einzigen Fingerdruck justieren. Das erste Motiv, das er ausgewählt hatte, sehe ich noch heute so klar in meiner Erinnerung, wie an jenem Abend: Zunächst erkannte ich nur eine unregelmäßig geformte helle Wolke im Zentrum des Ausschnitts. Nach einigen Sekunden löste sich die helle Fläche vor meinem Auge in ein Meer von Lichtnadeln auf, dicht beieinander stehenden Punkten, die so winzig waren, dass das Bild eine fast übernatürliche Schärfe annahm. In der Mitte der Wolke war eine Traube von Lichtnadeln, es waren hunderte, vielleicht tausende, nach außen hin nahm die Dichte der Sterne ab. Es war wie eine ausgedehnte leuchtende Stadt inmitten eines dunklen Kontinents – prachtvoll und unwirklich schön.
    »Was ist das?«, fragte ich, ohne meinen Blick abwenden zu können.
    »M 11.«
    Wie man etwas so Schönes einfach nur »M 11« nennen konnte, war mir unbegreiflich. M 11 sei ein Sternhaufen, erklärte mir Tom. Es gebe eine ganze Menge davon am Himmel. »Willst du noch einen sehen?«
    »Warte.« Es war schwer sich von dem Anblick der vielen kleinen Nadeln zu trennen. Immer noch schien sich die Stadt vor meinen Augen zu konkretisieren, neue Details zu entwickeln. Ich versuchte mich auf verschiedene Flecken zu konzentrieren, und wo ich hinsah, lösten sich Lichtballen in Einzelsterne auf. Es war, als würden meine Augen immer schärfer, je länger ich das Bild

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