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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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nicht mal anstrengen.«

KAPITEL 6

    E twa fünf Wochen nach meinem Besuch in der Volkssternwarte fand ich es an der Zeit, Tom in meine Kreise einzuführen. Die erste Gelegenheit ergab sich ganz von allein: Eine von Veras »neuen« Freundinnen, eine junge Malerin, hatte eine Ausstellung organisiert, die wir besuchen wollten. Das heißt, Vera wollte. Und aus Gründen, die mir selbst nicht ganz klar waren, lud ich Tom dazu ein. Es war Anfang November , und die ganze Woche war grau und verregnet gewesen. Wie ich inzwischen wusste, hieß das, Tom hatte abends nichts vor.
    Er wartete bereits vor dem Eingang der Galerie im Münchner Westen, als Vera und ich eintrafen. Zwischen all den Vernissagenmenschen, die vor und hinter den Schaufenstern des hell erleuchteten Raums herumstanden, sah Tom mit seinem praktischen Anorak und den allwettertauglichen Schuhen aus wie die Unschuld vom Lande. Bei der Begrüßung wirkte Vera so freudig überrascht, dass ich fast lachen musste. Ich weiß nicht, was sie erwartet hatte. Ihr Gesicht erinnerte mich an das meiner Mutter, wenn ich neue Freundinnen mit nach Hause brachte. An die hinter der Höflichkeit hervorbrechende, fast überdrehte Erleichterung, wenn die schlimmsten Befürchtungen nicht zutrafen.
    Die junge Malerin, die ihre Bilder ausstellte, Veras Freundin Constanze, war in unserem Alter und feierte bereits erste Erfolge. Mir jagte sie Angst ein, seit ich zum ersten Mal von ihr gehört hatte. Mehr noch als ihre Erfolge machte mir ihr Einfluss auf meine Freundin zu schaffen. Wie ich es sah, schleppte sie Vera nur durchs Nachtleben, und da Constanze wusste, was sie ihrer gefährlichen Aura als Künstlerin schuldig war, malte ich mir diese Exkursionen in meinen schlaflosen Stunden als ein einziges hedonistisches Lavabad aus. Einmal hatte ich vorgeschlagen, die beiden zu begleiten. Ich kann mich noch genau an Veras Blick erinnern. Sie hatte mich nie zuvor so angesehen: wie den kleinen Bruder, der fragt, ob er ins Autokino mitkommen darf.
    Als die Künstlerin uns am Eingang begrüßte, drückte sie mir zwei mechanische Küsse auf die Wangen. Tom fand etwas mehr Beachtung. Constanze gab ihm die Hand, zog eine scharf nachgezogene Marlene-Dietrich-Augenbraue in die Höhe und setzte einen geübten Ausdruck des Erstaunens auf. Das bedeutete: Ach nein, was für ein hübscher kleiner Kerl.
    Ich sah mich um. Das Publikum im Raum bestand aus schwarz gekleideten, bleichen Frauen mit ausdrucksvollen Gesichtern und älteren Herren mit sehr bunten Turnschuhen. Constanzes Bilder waren auf den ersten Blick krude, gegenständliche Kompositionen in Öl, deren dunkle Farben ihnen irgendwie einen Anschein von Gedankenschwere verliehen. Ich glaube, Kreuze, Naziuniformen, Hörner und der amerikanische Weißkopfseeadler spielten eine wichtige Rolle in Constanzes Ikonographie.
    Vera hielt sich gar nicht mit der Kunst auf. Sie plauderte mit Tom drauflos und erklärte Constanze, die immer noch in unserer Runde stand, dass er »Astronom« sei. In diesem Moment hatte die Marlene-Augenbraue ausgedient. Plötzlich fixierte Constanze ihn mit den verträumten Augen des Großstadtmädchens, das einen Cowboy gefunden hat. Es war eine Inszenierung wie in einer alten Hollywood-Komödie, ich hoffte nur, dass auch Tom sie durchschaute.
    »Das ist ja schön«, sagte die Malerin mit großen Augen. »Und am Wochenende soll der Himmel noch mal klar werden. Gehst du da Sternegucken?«
    »Morgen? Nein, wir haben ja fast Vollmond.«
    »Stört dich der Mond?«
    »Bei Mondschein sieht man sonst fast nichts.«
    »Ach. Dann haben Astronomen nie was vor in Vollmondnächten.«
    »Ich bin eigentlich kein Astronom.« Tom erklärte ihr den Unterschied.
    »Beobachter.« Constanze wiederholte das seltsam gewichtige Wort amüsiert. »Nimmst du öfter jemanden mit?«
    Tom wand sich wie ein Aal im Netz.
    »Also … normalerweise bin ich dabei lieber nur für mich.«
    »Du teilst die Sterne nicht gern.«
    »Na ja … ich werde ja nicht oft gefragt.«
    »Aber das ist, als würde ich meine Bilder nicht ausstellen.«
    Es war offensichtlich, dass Constanze begann, ein bisschen mit Tom zu spielen. Warum sie das tat, wusste ich von früheren Begegnungen. Es war ihre übliche Art, mit jungen Männern umzugehen, die ihr die Mühe wert waren. Toms Verhalten verstand ich weniger. Er blieb bei einer irgendwie ungreifbaren neutralen Freundlichkeit, wie ein Wissenschaftler, der Belege für seine Theorie sammelte und sich kein vorschnelles Urteil erlauben

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