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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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Teleskops, mächtig wie eine Kanone. Ich betastete die Metallhaut, die sich glatt und kühl anfühlte, und stieß auf eine kleine silberne Plakette mit der Inschrift »Alvan Clark & Sons, Telescope Manufacturers, Cambridgeport, Massachusetts«. Obwohl ich überhaupt nichts von Teleskopen verstand, glaubte ich das Gewicht und die Präzision der Mechanik unter meinen Fingern zu spüren. Das aus der Domkuppel herabfallende Licht vervollständigte den Eindruck, dass hier eine kostbare Reliquie aufbewahrt war.
    »Darauf musst du ganz schön stolz sein«, sagte ich.
    »Bin ich auch.«
    »Wo hast du das her?«
    »Geerbt. Von meinem Großvater.«
    »Besser als eine Standuhr.«
    »Sicher«, er lachte. »Mein Großvater hatte viele Freunde, die es haben wollten. Sie hätten notfalls sogar das ganze Observatorium gekauft.«
    »Aber du wolltest es behalten.«
    »Ich wollte mich nicht umgewöhnen. Mir hat es immer gefallen. Mein Großvater hat es aus Kalifornien importiert. Mit dem Schiff. Er ist selbst mitgefahren.«
    Ich nahm auf der obersten Stufe der Leiter Platz, während Tom unten stand und zu mir heraufsah. In der Wärme des einfallenden Lichts kam ich mir vor wie auf einem Thron.
    »Was kann es?«
    »Es ist speziell für Planeten. Mars, Jupiter, Saturn. So ein Teleskop nennt man einen Refraktor, weil es Linsen hat. Die meisten modernen Teleskope haben Spiegel. Aber die alten Refraktoren sind immer noch am besten, wenn du einen Planeten scharf sehen willst.«
    »Dann hast du alles von deinem Großvater gelernt?«
    »Das meiste.« Auf seinem Mund zeichnete sich ein schiefes Lächeln ab. »Ich musste die Namen von Bergen auf dem Mond auswendig lernen.«
    »Was?«
    »Er hat nie kapiert, warum Schüler die Namen aller wichtigen Berge und Ozeane auf der Erde lernen müssen, aber fast niemand kennt auch nur einen einzigen Berg auf dem Mond. Also musste ich alle lernen.«
    »Oh je …«
    »Und dann auch noch die kleineren Hügel.« Er blinzelte lächelnd in das Licht hinauf. Es sah nicht aus, als erinnerte er sich ungern daran.
    »Was sind das für Plaketten da?«, fragte ich ihn und zeigte auf zwei matt schimmernde Eisenschilder, die am unteren Ende des Tubus angebracht waren, dort wo Tom stand.
    »Das?« Er sah zu mir herauf, und aus dem schiefen Lächeln wurde langsam das größte Grinsen, das ich bisher an ihm gesehen hatte.
    »Ja«, sagte ich.
    »Das sind die zwei Kometen von meinem Großvater.«
    Nun blinzelte ich ihn an. »Nicht dein Ernst.«
    »Doch.«
    »Sie sind nach ihm benannt!«
    »Ja.«
    Ich kletterte die Leiter hinunter, um nachzusehen, ob er sich einen Scherz mit mir erlaubte. Im Halbdunkel der unteren Raumhälfte musste ich fast bis auf Nasenlänge an die Schilder herangehen, um die hineingestanzten Inschriften zu erkennen: »Eisenroth 1« und »Eisenroth 2«, dazu jeweils ein Datum, das eine aus den frühen Sechzigerjahren, das andere von 1969.
    »Ich hab gedacht, du machst nur Spaß«, sagte ich.
    »Wieso Spaß?«
    »Die Geschichte mit den Kometenjägern. Es klang zu irre.«
    »Ich mache keine Witze über meinen Großvater«, sagte er und sah leicht beleidigt drein.
    »Interessiert sich dein Vater auch für Astronomie?«
    »Nein. Er hasst sie«, sagte Tom. »Sollen wir zurück zum Haus gehen?« Und damit zog er erneut an der Seilwinde, und der Himmel über uns schloss sich mit einem metallischen Quietschen, bis wir wieder im Dunkeln saßen. Mit einem vagen Bedauern trat ich in die Abendsonne hinaus. Tom verschloss die schwere Holztür von außen. Dann folgte ich ihm den Hügel hinunter.
    Als wir durch die Hintertür ins Haus traten, fühlte ich sofort eine Beklemmung. Die Trockenblumen in einer Vase, die staubige Holzvitrine, die gerahmten Fotografien mit ausgeblichenen deutschen Stadtansichten – all das wirkte, als sei es lange nicht mehr verändert worden, als sei zu einem bestimmten Zeitpunkt das Leben aus diesen Räumen gewichen. Nur in Toms Zimmer herrschte Chaos: Bücher, Papier, seltsame bunte Röhren aus Metall oder Holz, ein angelehntes Fahrrad, eine paar Hi-Fi-Geräte, alles stand im Weg herum. Die Bücher, in Regalen und in Stapeln auf dem Boden, nahmen den größten Teil des Raums ein. Edgar Allan Poe neben einem monumentalen Band mit der Aufschrift »Sky Atlas 2000.0«, Huck Finn neben »Burnham’s Celestial Handbook«. Jeweils ein Buch war mir vertraut, das nächste vollkom men fremd. Auf einem Bord standen zwei gerahmte Fotos: Ein Farbfoto von einer hübschen lachenden Frau mit einem Baby auf

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