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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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betrachtete. Tom wartete schweigend auf mein Signal, während das leise mechanische Ticken des Uhrwerks zu hören war, das das Teleskop unmerklich mit den Sternen bewegte. Dann, als ich den Blick endlich abwenden konnte, versetzte er das Kuppeldach in eine Drehbewegung, schwenkte das Teleskop noch einmal, und ich durfte mich wieder auf die Treppe stellen, um ein weiteres M mit einer Nummer zu betrachten. Dieses M, ich glaube es war M 27, ähnelte eher einer halb durchsichtigen Wolke, hell vor dunklem Hintergrund. Solche »Nebel«, sagte Tom, seien in den Regionen unserer Milchstraße zu finden, wo sich immer noch neue Sterne formten. Manchmal auch dort, wo ein Stern gestorben war. Und Nebel konnten, wie ich in der nächsten Stunde erfahren sollte, in den unterschiedlichsten Formen auftreten: als ballonartige Blasen, als flächige Materiestürme, als ausufernde, zerrissene Explosionsgebilde oder als Schlieren ähnlich den Wirbeln einer Flüssigkeit in einem Wasserglas. M 1, der Krebs-Nebel, M 17, der Omega-Nebel, M 20, der Trifid-Nebel, die Wunder nahmen kein Ende, einige M waren diffus oder fast unsichtbar, kosmische Gas-Schwaden, die wie der Atem eines Geistes auf meine Linse gehaucht wurden, andere M ballten sich zu Wällen verdichteter Materie zusammen. Dann wurden drastische Effekte sichtbar, Schwaden aus dunklem Gas und Staub türmten sich vor hellem Hintergrund wie die drohenden Gewitterwolken alter Ölgemälde.
    All diese Nebel und Sternhaufen, sagte Tom, lägen im tiefen Weltraum, Lichtjahre von unserem eigenen Stern und seinen Planeten entfernt, daher nenne man sie »Deep Sky«-Objekte. Und noch tiefer lägen die Galaxien, die großen Welteninseln, die alles andere enthielten, zusammengesetzt aus vielen Milliarden Sternen wie unsere eigene Milchstraße. Ich hatte immer angenommen, man bräuchte mindestens einen NASA-Etat, um eine fremde Galaxie zu sehen. Aber wie sich jetzt herausstellte, stimmte das gar nicht. Wieder glitt das Teleskop lautlos an eine neue Stelle, und die grauen Flecken, die ich jetzt betrachtete, ähnelten Fliegenabdrücken auf einer Autoscheibe. Vielleicht deuteten sich Spiralen oder Rädchen an, es war nicht viel, was ich erkannte: Aber war das nicht egal? Es waren fremde Galaxien. Hier und da zeigten sie sich sogar ganz zwanglos in größeren Gruppen, die man Galaxienhaufen nannte. Man konnte mit den Augen in der Nähe beginnen und nach außen reisen, von kleinen Einheiten zu immer größeren, bis hin zu den vielleicht größten Organisationseinheiten im Kosmos. Und diese Ordnung lag einfach so vor uns, die Struktur der sichtbaren Welt. Es kam mir seltsam vor, dass ich erst jetzt hinsah.
    »Wann ist das alles entdeckt worden?« Ich löste mich endlich von dem Okular und sah von der Leiter aus zu ihm herab.
    »Das meiste vor zweihundert Jahren. Damals wurden die ersten größeren Teleskope gebaut.« Er gab der Röhre einen zärtlichen Stoß und schaltete das Rotlicht wieder an, während ich immer noch oben auf der Leiter saß. »Man konnte plötzlich sehen, dass es noch andere Objekte am Himmel gibt als Sterne und Planeten. Aber sie waren in den Teleskopen von damals meistens zu verschwommen. Man hat sie einfach alle Nebel genannt. Ein Franzose, Messier, hat die ersten einhundertzehn nummeriert. Deswegen das M.«
    »Und dann?«
    »Dann kamen Männer mit besseren Teleskopen. Und die haben mehr gefunden. Wilhelm Herschel hat zweitausendfünfhundert entdeckt, auch jede Menge Galaxien. Er war Orgelspieler. Kannst du dir das vorstellen?« Tom lächelte. »Es ging Stück für Stück tiefer.«
    »So lange, bis der ganze Himmel kartografiert war.«
    »Nein, die Entdeckungen gehen ja immer noch weiter. Nur die Grenzen haben sich sehr weit nach außen verschoben.« Er klopfte mit der Hand gegen das Clark. »Dafür brauchst du was Größeres.«
    Sein Gesicht glühte im Schein der roten Lampe, von meinem erhöhten Sitz auf der Leiter sah es merkwürdig aus, wie ein Kopf ohne Körper, der unter mir in der Schwärze schwebte.
    »Deine alte Dame leistet noch ganz gute Dienste, was?«
    »Sicher«, sagte Tom mit einem Lächeln ins Leere. »Stell dir vor, wir hätten vor zweihundert Jahren gelebt und so was gehabt. Alles was wir heute Nacht gesehen haben, wäre neu gewesen, unentdeckt. Kannst du dir das vorstellen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Ich kann mir das nicht vorstellen«, murmelte er und fixierte einen Punkt in der Dunkelheit. »Du schaust einfach hindurch, und da ist etwas Neues. Du musst dich

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