Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
Versionen der schlanken Himmelssäulen von Palm Springs.
Wir kamen an Häusern mit Fenstern aus Folie oder Karton vorbei und an liebevoll hergerichteten kleinen Anwesen mit rosafarbenen Flamingos, glänzend polierten Briefkästen und Carports für zwei Autos. Es war das amerikanische Fünfzigerjahre-Idyll nach der Schrumpfkur. Alles hier war von der Rezession erwischt worden, alles war kleiner, bis auf die Autos. Dort, wo die Straße endete und in die Wüste überging, stand ein gelbes Schild mit dem Wort »End«. Der Asphalt hörte einfach auf, das Schild stak schon im Sand. Ich stellte den Wagen direkt davor ab und holte alles aus dem Kofferraum, was an warmen Kleidern verfügbar war. Es war nicht viel. Während ich einzuschlafen versuchte, blätterte Tom in »Transporte Latino«.
KAPITEL 4
F rüh am Morgen auf dem Freeway kündigte sich eine größere Siedlung an. Wir waren noch nicht lange gefahren und sahen immer mehr Werbeschilder am Straßenrand, dahinter ausgedehnte Felder von einem saftigen Grün, das ich hier draußen kaum erwartet hätte. Der Ort selbst sah aus, als hätte man sämtliche Fastfood-Ketten und Tankstellenmarken des Landes in ein einziges Dorf gepackt, zu einem dichtestmöglichen Konzentrat amerikanischer Hässlichkeit. Die Schönheit dieses Landes hatte tausend Gesichter, die Hässlichkeit immer dasselbe.
Auf dem Ortsschild stand der Name der Siedlung: »Blythe«.
Da wir beide Hunger hatten, hielten wir an einem Diner. Wir bestellten Spiegeleier und Pancakes bei der Bedienung, einer properen Teenagerin. Ich war so müde, dass mir immer wieder die Augen zufielen, während wir auf unser Essen warteten. Manchmal fing ich Fetzen des Dialogs am Nebentisch auf. Die Kellnerin plauderte mit einem jungen Paar. Es ging ums Heiraten. Ich verstand nur, dass das Paar sich zierte und die Kellnerin Scherze darüber machte.
»Liebt ihr euch etwa nicht genug?«, rief sie den beiden zu. »Warum geht ihr nicht gleich morgen zur Kapelle?«
Wir warteten ziemlich lang, das muntere Geschnatter hielt mich mehr oder weniger wach. Die junge Kellnerin war ein einziger Lichtblick in dieser Umgebung. Die Uniform tat ihr keinen Gefallen, aber allein ihre Stimme hielt der Ödnis draußen, der Langeweile der Schnellrestaurants und Schnellstraßen etwas wie ein Lebenszeichen entgegen.
Als sie uns Kaffee nachgoss, sprach ich sie an. Ich sagte ihr, wir hätten die großen Felder vor der Stadt gesehen. Ob sie uns sagen könne, was hier denn wachse. Stolz zählte sie alles auf: Alfalfa, Broccoli, Salat, Wassermelonen. Hier in Blythe wuchs scheinbar eine Menge. Sogar Kartoffeln. Das hier, sagte sie, sei das Königreich der Kartoffeln.
Die Pancakes, die sie uns später servierte, kamen in Stapeln. Sie waren dick und trocken, aber mit Ahornsirup und Butter schmeckten sie köstlich.
»Wo kommt ihr her?«, fragte sie uns, als sie die Rechnung brachte.
»Aus Deutschland«, sagte Tom. »Aus dem Süden.«
»München«, ergänzte ich. »Wir haben das Oktoberfest.«
»Wie schön«, sagte sie strahlend. »Wir haben auch eins.«
In den ansteigenden Hügeln direkt hinter Blythe parkten überall Wohnmobile, Saisonarbeiter vielleicht, denn eine Attraktion war in dem Geröll weit und breit nicht zu sehen. Wir passierten ein Schild, das uns in Arizona willkommen hieß, dann führte die Straße hinauf, über die braunen Verwerfungen hinweg, durchschnitt eine oder mehrere Hügelketten, und als wir auf der anderen Seite herauskamen, waren wir in einer neuen Form von Wüste. Die Farbgebung der Landschaft hatte subtil auf unseren Grenzübertritt reagiert. Von dem ausgetrockneten, kalifornischen Ocker zu einem verwaschenen lehmigen Rot. Kleine gelbe Blumen blühten in Büscheln am Straßenrand. Graskissen tupften die unwegsame Ebene. Und schon wenige Minuten später sahen wir den ersten großen Kaktus. Ein Kandelaber mit zum Himmel erhobenen Armen. Er wirkte wie ein vom Fremdenverkehrsamt aufgestellter Hinweis: Sie befinden sich jetzt in Arizona.
Der Highway 60 nach Prescott sah aus wie der leerste und schnurgeradeste Streifen Teer, der jemals von Menschenhand in eine Landschaft gewalzt worden war. Eine Linie ins Nirgendwo, keine Unebenheit größer als ein Kiesel. Manchmal konnten wir am Horizont, auf den wir zufuhren, das silberne Blitzen eines Kotflügels oder einer Radkappe erkennen. Dann dauerte es Minuten, bis wir einem Auto begegneten. Siedlungen sahen wir kaum, nur vereinzelte Wohnmobilparks oder ärmliche baufällige Hütten,
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