Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
folgen. Ich war etwas überrascht über das, was ich sah. Ein reines Observatorium schien das hier nicht zu sein. Vor uns in der Abenddämmerung lag eine weitläufige, gepflegte Parkanlage mit Spazierwegen. Falls es wissenschaftliche Einrichtungen gab, waren sie gut zwischen den dunklen Stämmen der Kiefern versteckt.
Nach einem kurzen Fußweg erreichten wir ein Haus, das aussah wie das Anwesen eines wohlhabenden Ranchers. Es war aus dunklen Natursteinen erbaut und hatte ein strahlend weißes Giebeldach und einen kleinen Portikus, auffälliger aber war der exzentrische Anbau des Hauses, eine aus demselben Stein gemauerte Rotunde. Wir betraten das Haus durch den Portikus, wo uns ein weiterer Mann in einem Polohemd mit »Lowell«-Logo begrüßte und schließlich zu der Gruppe führte, die bereits um eine gedeckte Tafel herumstand und uns mit Weißweingläsern zuprostete.
Whistler begrüßte uns wie alte Freunde, ließ seine Hände auf unsere Schultern fallen und winkte eine Bedienstete in weißer Bluse herbei, die uns zwei volle Weingläser von einem Tablett reichte. Tolwyn und Dreysen nickten freundlich, und Mrs. Anand stand sogar auf und gesellte sich zu uns. Außer den uns bekannten Anwesenden war noch ein weiterer Mann im Raum, den Whistler uns vorstellte. Er war ein etwas dicklicher Brillenträger mit krausen grauen Haaren, der einen schlechtsitzenden blauen Anzug trug. Seinen Namen vergaß ich sofort wieder, aber er hatte eine offizielle Funktion, vielleicht war er sogar der Direktor des Observatoriums, ein überaus wissbegieriger Mann jedenfalls, der Tom direkt auf sein Teleskop ansprach. Ich trank Weißwein und hielt mich an Mrs. Anand. Nach etwa zehn Minuten sah ich, dass Whistler dem Direktor einen versteckten Wink gab, und dieser ergriff das Wort. Er hielt eine kurze Ansprache, in der er erklärte, wie froh man sei, in Mr. Whistler einen der bedeutendsten Unterstützer des Observatoriums zu Gast zu haben, einen Freund und Partner, den man in dieser Runde nun wahrlich nicht mehr vorstellen müsse.
Whistler langweilte sich schon nach Sekunden. Ich musste nur einen Blick in sein Gesicht werfen, um zu sehen, dass er selbst die kürzesten Ansprachen für Zeitverschwendung hielt. Tolwyn und Dreysen lächelten geübt. Sie hatten ähnliche Huldigungen sicher schon etliche Male über sich ergehen lassen. Mrs. Anand sah erfreut aus, war aber noch erfreuter, als die Vorstellungsrunde wieder vorbei war und der Direktor zum nächsten Teil überging. Er ließ seine Augen besorgt über die Gruppe wandern: »Ich hoffe, Sie sind nicht zu hungrig. Sonst verschieben wir die Besichtigung auf später.«
»Ach nein«, sagte Whistler. »Bringen wir’s jetzt hinter uns.«
Direkt an den Speisesaal schloss sich eine Bibliothek an, ein runder Saal, der normalerweise für Führungen geöffnet zu sein schien. Unter dem runden Kuppeldach und einem prächtigen Lüster in Saturnform standen Schaukästen, in denen historische Geräte ausgestellt waren, kostbar wirkende Präzisionsmaschinen aus Messing mit unbekanntem Zweck. Im Vorbeigehen machte der Direktor uns auf den »Spektrografen« aufmerksam, den der Astronom Vesto Slipher einst benutzt hatte, um die fortgesetzte Ausdehnung des Universums zu messen. Eine andere Maschine, die meine Aufmerksamkeit fesselte, ein Schaukasten mit zwei Gucklöchern, war der berühmte »Blink-Komparator«, mit dessen Hilfe der Planet Pluto entdeckt worden war. Als Teile der Gruppe den Direktor darauf ansprachen, dass Pluto gar kein Planet mehr sei, bemerkte ich dessen Zögern. Plutos Herabstufung zum Zwergplaneten sei für das Observatorium ein schwerer Schlag gewesen, gab er zu. Man hielt sie immer noch für eine große Ungerechtigkeit, nicht weil Pluto sich hinreichend als Planet qualifiziert habe, sondern weil seine Entdeckung eine solche Meisterleistung gewesen sei. Der vierundzwanzigjährige Assistent Clyde Tombaugh habe dafür tausende fotografische Platten mit Millionen von Sternen vergleichen müssen. Ich durfte selbst durch den Komparator schauen, mit dem Tombaugh das Wunder vollbracht hatte. Ein Foto mit Unmengen von Sternen, und mitten unter ihnen ein nahezu unsichtbarer Punkt, der mit einem Pfeil markiert war. Als der Apparat auf die nächste Platte umschaltete, war der mit dem Pfeil versehene Punkt an eine andere Stelle gewandert: Pluto.
»Stellen Sie sich vor, da wäre kein Pfeil«, sagte der Direktor. »Und er hat ihn trotzdem gesehen.«
»Der arme Junge«, murmelte Rhada Anand
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