Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
einige Vorspeisen gereicht wurden, brachte ich die Unterhaltung vom Nachmittag wieder in Gang, jene merkwürdig beiläufige Konversation über unternehmerische Großprojekte, die meinen Horizont überstiegen. Die meisten ihrer Projekte waren entweder noch geheim oder scheinbar bereits weltbekannt, das machte die Unterhaltung noch schwieriger. Als ich Tolwyn erneut auf das Observatorium in Chile ansprach, legte er seine Gabel ab. Er genoss den Moment wie ein Sportwagenbesitzer, der sein Garagentor öffnet. Dann erklärte er mir, es handle sich um ein Panoramateleskop mit dem größten Fotochip, der je gebaut wurde. Zwölf Milliarden Pixel unter einem Spiegel mit acht Metern Durchmesser. »Es hat eine Weitwinkeloptik. Und der Chip ist enorm empfindlich.«
»Was genau ist ein Panoramateleskop?«, fragte ich.
»Es kann große Flächen fotografieren«, sagte Tom ohne Begeisterung.
»Schön«, sagte ich und lächelte Tolwyn unsicher an. »Aber was haben Sie von großen Flächen?«
»Die meisten Teleskope gehen in die Tiefe«, erklärte Tolwyn. »Wir gehen damit in die Tiefe und in die Breite. Wir können in zwei Tagen den ganzen Himmel über Chile fotografieren, sechzig, siebzig Prozent des Nachthimmels. Es ist die schnellste und tiefste Durchmusterung, die es je gegeben hat.«
»Durchmusterung?«, fragte ich. »Entschuldigung, was heißt das?«
»Eine Suche«, sagte Tolwyn. »Es ist eine Suchaktion.«
»Asteroiden, Kometen, NEOs«, sprang ihm sein Partner Dreysen zur Seite. »Near Earth Objects. Alles, was uns treffen kann.«
»Nicht nur das«, sagte Tolwyn. Er hob übermütig sein Glas und beschrieb damit eine himmlische Parabel: »Wir kartografieren die Milchstraße neu. Veränderliche Sterne, Gravitationslinsen, dunkle Materie. Es wird sehr viele unerwartete Entdeckungen geben. Das Schöne daran ist, dass noch niemand weiß, was wir alles finden. Ganz nebenbei«, setzte er hinzu, »leisten wir noch unseren bescheidenen Beitrag zum Überleben der Menschheit.«
Er leuchtete nun vor Stolz, und ich konnte ihn sogar verstehen. Er hatte all diese Wörter gerade erst gelernt und benutzte sie so sorglos wie ein gestohlenes Spielzeug. Ich konnte mir vorstellen, was für ein technikbegeistertes Kind er gewesen war. Wahrscheinlich hätte er es sich niemals träumen lassen, selbst an der Erforschung des Weltraums teilzuhaben oder globale Katastrophen zu verhindern. Doch nun saß er im Stuhl des Captains. Es kitzelte seine Eitelkeit, an dem großen Rad mitzudrehen.
»Können Sie hindurchsehen?«, fragte ich.
»Oh nein«, lachte Tolwyn gutmütig. »Sie könnten, wenn Sie wollen, ein Okular reinschrauben, aber dafür ist das Teleskop wirklich zu schade.«
»Ich verstehe nicht, was Sie davon haben«, sagte Tom mit einem gelangweilten Unterton. »Ein großes Teleskop, das Sie nicht selbst benutzen.«
»Ja, was haben Sie davon«, fragte Rhada Anand mit einem feinen Lächeln. »Kommt es Ihnen nur auf die Plakette an?«
»Die beiden sind nicht allein«, erklärte Whistler. »Auf der ganzen Welt werden Spitzenteleskope gebaut, die um die Vorherrschaft kämpfen. Und an jedem Teleskop hängt ein Name: Discovery Channel, Google. Es ist ein neuer Wettlauf um den Weltraum, wie damals in den Sechzigerjahren.«
»Es ist wohl nicht anders als zu Lowells Zeiten«, wandte Bart Dreysen ein. »Männer mit Zeit und Geld suchen sich neue Spielzeuge.«
»Sie wollen das vergleichen?«, fragte Whistler.
»Warum nicht? Dieses alte Teleskop«, sagte Dreysen an den Direktor gewandt, »was hat Ihr Mr. Lowell damals dafür bezahlt?«
»Zwanzigtausend Dollar. Nach heutigen Maßstäben eine halbe Million.«
»Eine halbe Million«, wiederholte Tolwyn ebenso überrascht wie amüsiert. »Das ist viel Geld für einen Spleen.«
»Er konnte es sich leisten«, erklärte der Direktor. »Die Lowells waren eine der reichsten Familien von Massachusetts, sein Bruder war Direktor von Harvard. So konnte er sich ein gesamtes Privatobservatorium leisten. Und noch viele Eskapaden mehr. Wussten Sie …«, er wandte sich an Tom, »… wussten Sie, dass das Teleskop zeitweise in Mexiko war?«
»Nein«, sagte Tom.
»Mr. Lowell wollte das bestmögliche Wetter für die Marsopposition im Winter 1896. Die Einzelteile wurden per Zug nach Mexiko gebracht. Aber dort hat ihm die Luft nicht gefallen. Also ist er im Frühjahr 1897 wieder zurück nach Flagstaff gekommen. Ganz zufrieden war er nie. Er hat sein Leben lang nicht aufgehört, Orte auf der ganzen Welt testen zu
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