Die Kommissarin und der Tote im Fjord
Redakteure und Journalisten sollten einmal in sich gehen«, sagte Råholt. »Der norwegischen Presse fehlt es an Selbstkritik. Die Schwelle für das, was sich die Presse erlaubt, wird immer niedriger. Nur die Presse selbst kann an dieser Situation etwas ändern. Wir brauchen Meinungsfreiheit, aber noch mehr brauchen wir eine Diskussion über Medienkultur«, sagte Frikk Råholt, den Blick weiterhin fest auf die Kamera gerichtet. »Meine Frau ist ein lebendes Beispiel dafür, was für eine schwere Belastung es ist, in der Öffentlichkeit die Politik zu vertreten«, fügte er noch hinzu. Dann musste er der nächsten Nachricht den Platz räumen: welche enormen Geldsummen die Norweger für Weihnachtsgeschenke ausgaben.
Gunnarstranda sah zu Rindal hinüber, der nahm die Fernbedienung und regelte die Lautstärke herunter.
»Was meinst du?«, fragte Rindal.
»Ich glaube, dass die Information über die Vergangenheit dieser Dame und Herrn Shamoun überhaupt nicht von uns durchgesickert ist.«
Rindal lugte skeptisch über seinen Schreibtisch. »Warum glaubst du das?«
»Weil Råholt sich da einfach so ausbreiten kann, ganz ohne Sicherheitsnetz. Der wird jetzt zum fettesten Lobbyisten, den dieses Land jemals hervorgebracht hat.«
Rindal saß ein paar Sekunden lächelnd da und schüttelte dann den Kopf. »Ich verstehe den Gedankengang nicht.«
»Es kann kein Zufall sein, dass das gerade jetzt passiert«, sagte Gunnarstranda. »Ich spüre es im Bauch und im Rückenmark gleichzeitig. Da kommt bestimmt noch mehr. Wir haben noch nicht die ganze Geschichte gehört. Jedenfalls bin ich mir sicher, dass dieser Mann das Schiff selbst schaukeln will. Da kommt noch mehr, glaub mir.«
»Und was zum Beispiel?«
»Der tote Sekretär hat Informationen über eine Bergbaugesellschaft gesammelt, die aus ethischer Sicht in Grauzonen operiert.«
Rindal lächelte herablassend. »Soll jetzt Sveinung Adelers Job damit zu tun haben? Tickst du noch ganz richtig?«
Gunnarstranda nickte und tippte mit dem Zeigefinger auf seinen Bauch.
Rindal schüttelte den Kopf. »Dein Bauch lügt. Behalte die Füße auf dem Boden und benutze deinen Kopf.«
»Glaubst du wirklich, dieser Lobbyist da gibt ohne Grund eine Pressekonferenz?«, fragte Gunnarstranda rhetorisch.
Rindal seufzte. »Nun hör mir mal zu: Frikk Råholt ist Politiker. Das ist alles. Natürlich macht er Stimmung. Er nutzt die Situation aus. Er ist ein Matador, der in der Arena tanzt. Er ist ein Winner. Es ist ganz einfach so: Die Informationen kommen von hier.« Rindal tippte mit dem Zeigefinger auf den Tisch. »Wir sind beide erwachsene Menschen. Wir sehen nicht am helllichten Tag Gespenster.«
»Wem hat dieser Fall bis jetzt genützt?«, fragte Gunnarstranda düster. »Sowohl Frikk Råholt als auch Aud Helen Vestgård. Es gibt nur eine einzige Verliererin, und das ist Lena.«
Rindal sah Gunnarstranda mit dunklem Blick an. »Wir wissen beide, dass Lena mit diesem Journalisten im Bett war.«
»Lena ist loyal. Sie ist nicht seine Quelle.«
»Ich kann verstehen, dass du für eine Kollegin kämpfst, die du magst«, sagte Rindal. »Ich mag Lena auch. Aber es muss nicht einmal eine bewusste Illoyalität von ihr gewesen sein. Der Journalist kann an ihren PC gegangen sein oder ein Telefongespräch mit angehört haben. Der Punkt ist, dass Lena an irgendeiner Stelle schlechte Menschenkenntnis bewiesen hat. In der momentanen Situation müssen du und ich die Schlussfolgerungen dem Internen Sicherheitsdienst überlassen. Die Welt ist nicht für Verschwörungstheorien gemacht, und das weißt du, wenn du ein wenig nachdenkst. Jetzt hör mir mal ernsthaft zu: Wir haben eine Anzeige wegen Veröffentlichung vertraulicher Informationen am Hals. Ich habe eine Ermittlungsleiterin, die mit dem Journalisten ins Bett geht, der eben diese Informationen veröffentlicht. Da muss ich handeln. Ich kann es mir nicht leisten, die Kontrolle zu verlieren! Capisci?«
Gunnarstranda sah ihn an und sagte: »Sayonara.«
»Wie bitte?«
»Du musst Lena nicht suspendieren. Du kannst sie von dem Fall abziehen und ihr zwei Wochen lang administrative Aufgaben geben, bis es vorbei ist.«
Rindal betrachtete Gunnarstranda mit einer ärgerlichen Falte zwischen den Brauen.
»Wir denken hier bei der Polizei viel zu konventionell«, sagte Gunnarstranda. »Wir sind viel zu sehr mit Strafe oder Belohnung beschäftigt, statt uns über Führungsqualitäten Gedanken zu machen.«
»Jetzt reicht’s«, sage Rindal scharf. »Tu du deine
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