Die Kommissarin und der Tote im Fjord
Arbeit, und ich mache meine.«
»Es gibt übrigens noch jemanden, der von diesem Fall profitiert«, sagte Gunnarstranda und stand auf. Er ging zur Tür, öffnete sie und verließ den Raum.
»Wer?«, tönte es hinter ihm.
Gunnarstranda hielt inne, drehte sich noch einmal um und lehnte sich in den Türrahmen. »Eine dieser Firmen, über die Adeler Informationen gesammelt hat, heißt McFarrell. Aber den Namen findest du weder in den Zeitungen noch sonst irgendwo.«
»Und woher hast du den Namen?«
»Von der Verliererin. Von Lena. Der Einzigen, die nicht klug genug war, diesen Namen zu verschweigen.«
7
Lena verließ ihre Wohnung und trat hinaus in den Tag, der schon so dunkel war, wie er im Winter nur sein kann. Sie überquerte die Salz-Schneeschicht auf der Stortingsgata und lief weiter den Bürgersteig entlang in Richtung Hotel Continental.
Lenas Geburtstag war der erste April – der Tag der Scherze in aller Welt. Die meisten Lehrer, Freunde, Trainer, Liebhaber hatten im Laufe der Jahre Anspielungen darauf gemacht. Nur ein Mensch hatte niemals Witze über ihren Geburtstag gemacht.
An dem Tag, als sie vierzehn wurde, wartete ihr Vater auf die Röntgenbilder. Er hustete oft, aber das war auch alles. An dem Tag feierten ihre Mutter, ihr Vater und sie im Theatercafé. Lena hatte sich einen Sony-Walkman gewünscht und ihn auch bekommen. Sie hatten Walnusskuchen zum Nachtisch bestellt. Als der Kellner kam, ging im Restaurant das Licht aus. Das Orchester spielte das Geburtstagslied. Der Kellner servierte den Kuchen mit sprühenden Wunderkerzen.
In den Jahren danach waren sie immer nur zu zweit gewesen, um ihren Scherztag zu feiern.
Das Theatercafé hatte Lena wohlweislich gemieden. Sie hatte immer wieder neue Argumente dafür gefunden, dort nicht hingehen zu müssen Das Theatercafé ist ein teures Lokal. Ein Lokal, wo Leute aus der Provinz hingehen in der Hoffnung, einen Promi zu Gesicht zu bekommen. Das Theatercafé ist ein Treffpunkt für Banker, Presseleute, Stars und Groupies in allen Schattierungen. Jetzt trat sie zum ersten Mal seit fast zwanzig Jahren wieder durch das klassische Portal. Ihr graute davor, die bekannten Dinge wieder zu sehen: die hohen Fenster, das Mezzanin mit dem Orchester, die Rotunde, den Buffettresen.
Doch zugleich war Lena ein wenig stolz. Sie war zufrieden damit, dass die Gedanken an das Wiedersehen mit diesem Ort sie aufwühlten, nicht aber die Gedanken an den Mann, den sie hier treffen sollte.
Zielstrebig ging sie auf die Garderobe zu, zog sich den roten Wollmantel aus und reichte ihn dem Mann hinter dem Tresen.
Alle Modeblogger schworen auf das kleine Schwarze. Lena war dem Tipp gefolgt. Ihr kleines Schwarzes reichte bis eine Handbreit überm Knie, wo es schwarze Strümpfe ablösten, die sich weiter unten in knöchelhohe Stiefeletten mit leichtem Absatz schmiegten. Sogar die kleine Handtasche passte zum Kleid, ein Kleinod, das sie an ihrem dreißigsten Geburtstag in Paris gekauft hatte – Chanel 2.55 – schwarz und chic.
Sie drehte sich um und betrat das Restaurant, genau zehn Minuten verspätet.
Ein paar Sekunden lang stand sie nur da und schaute. Es fühlte sich an, wie einen steilen Berg ihrer Kindheit hinaufzugehen. Die Steigungen der Realität sind oft kürzer und sanfter als man glaubt.
Das hier war nur ein Lokal, ein Raum voller Menschen.
Die Gespräche der Gäste versammelten sich zu einem lauten Summen unter der Decke. Der Lärm war eingepackt in konzentrierten Weihnachtsduft: ein Bouquet, das den Geruch parfümierter Menschen mit einen kräftigen Dunst von Aquavit, Lutefisk, Erbsenpüree, gebratenem Bauchspeck, Schweinerippchen und Hammelrippchen verband, das stundenlang auf Birkenholz gezogen hatte, dazu der Duft von Sauerkohl mit Kümmel und Steckrübenmus und mit Ingwer gewürzte Medisterwürstchen, abgerundet mit mehligen Kartoffeln, das Ganze gekrönt durch den Duft frischen Kaffees und einen feinen Hauch von exklusivem Cognac. Es war brechend voll. Es musste sein Presseausweis gewesen sein, der Steffen zu einem Tisch verholfen hatte. Der Oberkellner begegnete ihr mit einem breiten Lächeln. Sie übersah ihn und reckte den Hals, um Steffen ausfindig zu machen. Entdeckte ihn an einem der Vierertische, die an den Fenstern zur Stortingsgata standen. Er kehrte ihr den Rücken zu, sprang aber vom Stuhl auf, als sie sich neben den Tisch stellte. Sein Blick bestätigte ihr, dass sie mit ihrem Outfit ins Schwarze getroffen hatte. Als er sich anschickte, sie zu
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