Die Kommissarin und der Tote im Fjord
noch einmal an den Laptop.
Jetzt öffnete sie das Lesezeichen, das sie gesetzt hatte, als sie nach Steffen Gjerstads Zeitungsartikeln gesucht hatte. Zielbewusst ging sie Artikel für Artikel durch. Sein Spitzname ›Der Anhänger‹ passte tatsächlich. Der Name Steffen Gjerstad wurde oft neben anderen Namen erwähnt. Sie reduzierte die Suche auf Artikel, die er allein verfasst hatte. Begann zu blättern. Sie gähnte vor Langeweile, richtete sich aber plötzlich auf, als sie auf einen Artikel über Obdachlose in Oslo stieß.
Das Foto war an einem Sommertag bei Spikersuppa aufgenommen worden. Zwei Menschen auf einer Bank: Nina Stenshagen und Stig Eriksen.
Lena betrachtete das Foto lange. Nachdem sie den Artikel einmal gelesen hatte, las sie ihn sehr aufmerksam noch ein zweites Mal.
Der Sternennebel war nicht mehr nur ein Nebel. Sie hatte Abstand zu den Dingen bekommen und erkannte die Konturen eines Systems im Chaos. Sie hob den Kopf und schloss die Augen, spürte nach, wie es sich anfühlte, die Verbindungen hervortreten zu sehen.
Mit diesem Mann war ich im Bett, dachte sie, und ihr wurde speiübel. Sie schluckte und stand auf. Stand mit der Stirn an die Wand gelehnt und schluckte, bis ihr nicht mehr übel war. Versuchte, normal zu atmen. Das war leichter gesagt als getan. Aber es musste gehen. Sie fühlte sich leer wie nach einer erschöpfenden Skitour. Hob ihre Hände und betrachtete sie. Wartete, bis ihre Finger nicht mehr zitterten. Erst dann griff sie nach dem Telefonhörer und wählte Steffens Nummer.
Es klingelte und klingelte. Endlich nahm er ab. »Hier Gjerstad.«
Sein formeller Ton klang so künstlich, dass es fast peinlich war. Sie räusperte sich, unsicher, ob ihre Stimme tragen würde.»Sie haben mir die Schuld gegeben«, sagte sie. Ihre Stimme trug. Trotzdem räusperte sie sich noch einmal und fragte: »War das der Sinn der Sache?«
»Oh, du bist es. Wovon redest du?«
»Ich rede von deinem letzten Artikel. Man hat mich bezichtigt, deine Quelle zu sein, und es wird gegen mich ermittelt. Hat dich noch niemand dazu vernommen?«
»Suspendiert?«
»Ja, suspendiert. Soll ich es dir buchstabieren?«
Jetzt dauerte die Stille einige Sekunden länger. »Kann ich dich zum Lunch einladen?«
Lena sah auf den Artikel mit den Fotos von Nina Stenshagen und Stig Eriksen hinunter. Sie lächelte still vor sich hin.
»Unter einer Bedingung«, sagte sie.
6
Gunnarstranda öffnete Rindals Bürotür einen Spalt und wurde hineingewunken.
Auf dem Flachbildschirm an der Wand lief eine Sondernachrichtensendung.
»Ich habe lange und ausführlich mit Lena gesprochen«, sagte Gunnarstranda. »Sie macht gute Arbeit. Ich wollte dich bitten, dir das mit der Suspendierung noch mal zu überlegen.«
»Pssst«, sagte Rindal und zeigte auf den Bildschirm.
Frikk Råholt gab eine Pressekonferenz. Er bestätigte, dass er eine Stelle als Medienberater bei der PR-Firma First in Line angenommen hatte.
Frikk Råholts fein geschnittenes Gesicht füllte den Bildschirm aus. Er erzählte, wie froh er sei, dass der heutige Presseartikel die Wahrheit über die Beziehung seiner Frau Aud Helen zumStockholmer Büro von Polisario zur Sprache gebracht hatte. Die Wahrheit sei etwas Schönes und Wertvolles. Die Wahrheit sei also, dass seine Frau weder politisch subversiv agiert habe noch an irgendwelchen anderen phantastischen Szenarien beteiligt gewesen sei. Die Sache wurde undramatisch eingekocht, bis schließlich etwas so Einfaches herauskam wie die Fürsorge für ein gemeinsames Kind und die Verantwortung zweier Menschen, die durch eine Liebesbeziehung in Paris vor etwas über zwanzig Jahren zu Eltern geworden waren. Leider habe die Presse wilde Behauptungen aufgestellt bezüglich irgendwelcher dubioser Dinge, die sich zwischen dem Ölfonds und einer völlig legalen politischen Organisation abspielten! Die Zeitungsartikel seien der eigentliche Skandal! Der arme Staatssekretär, der bedauerlicherweise ertrunken sei, habe schließlich nur seine Arbeit gemacht! Wer wüsste, wie die Segregation im besetzten Westsahara abliefe, der könne nicht fassen, wie es möglich gewesen sei, die politische Situation dieses bedauernswerten Landes dazu zu benutzen, die einfache Tatsache, dass eine norwegische Politikerin mit einem früheren Partner essen geht, zu einem Medienereignis aufzublasen!
Frikk Råholt hob den Kopf und starrte direkt in die Kamera. Das hier sei ein Skandal, aus dem die norwegische Presse ihre Lehren ziehen müsse.
»Viele
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