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Die Kommissarin und der Tote im Fjord

Die Kommissarin und der Tote im Fjord

Titel: Die Kommissarin und der Tote im Fjord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Ola Dahl
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wenn du etwas weiter denkst als an deine Arbeit und den heutigen Tag. Was erscheint dir dann wichtig?«
    Lena sah auf die Tischdecke. Gesund zu werden, dachte sie, aber darüber wollte sie nicht sprechen. Nicht jetzt. Egal, wie persönlich Gunnarstranda werden wollte. Sie beschloss, das Thema zu wechseln. »Ich möchte darüber nicht sprechen.«
    »Ich meine jetzt nicht die eine konkrete Krankheit – oder die Todesangst – oder die Bedrohungen außerhalb deiner selbst.«
    Lena hob den Kopf und sah ihm in die Augen. Wusste er es? Nein. Gunnarstranda konnte es nicht wissen. Außer ihr selbst konnte es niemand wissen.
    Gunnarstranda begegnete ihrem Blick, lächelte leicht und schüttelte ein wenig herablassend den Kopf. »Hab keine Angst«, sagte er dann. »Ich weiß nichts, von dem du nicht willst, dass ich es weiß. Aber ich habe dich hierhergebeten, weil ich sehe, dass etwas los ist. Ich mag dich, Lena. Aber ich bin mein ganzes erwachsenes Leben lang ein Bulle gewesen, undjetzt sitze ich hier und sehe eine Kollegin vor mir, die dabei ist, die Kontrolle zu verlieren, oder nennen wir es, auf den falschen Zug aufzuspringen. Deshalb möchte ich, dass du innehältst und dich umsiehst. Etwas oder jemand nimmt dich gerade heftig mit. Gerade in solchen Situationen ist es wichtig innezuhalten, den Kopf zu heben und sich vorzustellen, man sei ein Vogel, der irgendwo da oben schwebt und hinunterschaut. Der Vogel sieht eine große Landschaft mit endlosen Möglichkeiten. Aber genau da unten liegt dieser kleine Ort, wo ein Haufen Menschen sich zusammendrängen und rempeln und knuffen und fluchen und schreien, nur um ein Brot oder eine Zeitung zu kaufen. Mitten in der schwitzenden Horde verärgerter Menschen stehst du und trittst auf der Stelle und verbrauchst einen Haufen Kräfte an den völlig falschen Stellen. Es ist so unglaublich einfach. Man muss nur einen Schritt zur Seite treten, einen neuen Blickwinkel finden. Du musst dich selbst zur Hauptperson deines Lebens machen und dich nicht zur Statistin im Leben anderer reduzieren. Um das hinzukriegen, musst du dich in einem Zusammenhang sehen, der etwas größer ist als nur dieser eine Fall oder die eine konkrete Krankheit oder die Todesangst, die dich gerade erfasst hat und die dich blind macht.«
    Er schwieg.
    Sie schwieg.
    Sie sahen einander lange an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, aber es gefiel ihr, was er gesagt hatte. Es gefiel ihr, dass er da saß und verstand.
    Schließlich brach Gunnarstranda das Schweigen. Er entblößte seine Zähne zu einem breiten Grinsen. »Das hier war unser erstes und hoffentlich auch das letzte Raus-aus-Otta-Gespräch«, sagte er. »Jetzt bin ich bereit für dieses Briefing.«
5
    Sie ging die Internetzeitungen durch. Zwang sich dazu, nach Todesfällen, Ertrunkenen, Unfällen zu suchen. Sie fand nichts. Die Nachricht von dem Mann, der bei Kattertangen draußen vor Sandvika tot an Land geschwemmt worden war, hatte die Zeitungen noch nicht erreicht.
    Also hatte der Geheimdienst den Fall offensichtlich vertuscht.
    War das möglich? Lena stand vom Küchentisch auf. In der Pfanne zischte es. Die Küche begann nach frisch gebratenem Speck zu duften. Lena gab Zwiebeln und Knoblauch dazu. Der Duft, der sich jetzt ausbreitete, erinnerte an Ferien in Italien. Als die Nudeln kochten, hatte sie noch ein paar Minuten Zeit und manövrierte den Weihnachtsbaum durch die Terrassentür nach draußen. Lehnte ihn an die Wand. Er blieb nicht von allein stehen. Sie ging in die Hocke und hielt ihn gerade. Es war wirklich ein kleiner Weihnachtsbaum. Aber mit Mamas altem Weihnachtsbaumständer würde er etwas erhöht stehen und perfekt in ihre Wohnung passen. Lena nahm einen Tonkrug als Stütze, so dass der Baum einigermaßen sicher stand.
    Sie ging wieder hinein, fischte eine Spaghetti aus dem Topf und probierte. Al dente. Perfekt. Sie schreckte die Nudeln ab.
    Lena gönnte sich ihr Lieblingsessen, Spaghetti alla Carbonara: Nudeln, Schinken, gebratene Zwiebeln und Knoblauch, das Ganze gekrönt mit rohem Eigelb. Dazu: ein Vollkornbrötchen von der Åpent Bakeri. Zu trinken: reines norwegisches Wasser.
    Lena aß konzentriert. Als äße sie zum ersten Mal. Zum Schluss tunkte sie den Rest der Sauce mit einem Stück Brötchen auf und steckte es in den Mund. Sicher, sie war krank, aber an ihrem Appetit war nichts auszusetzen.
    Als ihr Teller leer war, hatte sie Lust auf mehr, beherrschtesich aber. Goss sich statt dessen eine Kanne grünen Tee auf und setzte sich

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