Die Kommissarin und der Tote im Fjord
zu rufen, das weiß ich noch.«
»Sie sind zusammen abgefahren?«
»So kam es mir vor, ich habe nur einen Wagen bestellt.«
Lena richtete sich auf. »Erinnern Sie sich an die Nummer des Wagens?«
»Sind Sie verrückt? Nein. Das war einer von hundert an dem Abend, mindestens.«
Lena bedankte sich und wollte gehen.
Das kleine Mädchen flüsterte ihrem Papa etwas zu, als Lena sich den Schal um den Hals wickelte.
»Tu das ruhig«, sagte der Vater.
Das kleine Mädchen errötete geniert. Lena ging in die Hocke. »Was ist denn?«, fragte sie.
Da reichte ihr das Mädchen eine Blume. Es war eine zerknitterte Plastikblume. Lena nahm sie entgegen. »Vielen Dank.« Lena war freudig gerührt. Sie streckte die Arme aus, um dem Mädchen einen Kuss zu geben. Aber das Mädchen floh in die Küche.
Der Vater zwinkerte Lena zu. »Meine Tochter wollte Ihnen etwas schenken, aber sie ist so schüchtern.«
Lena steckte die Blume in die Tasche. Während sie auf die Straßenbahn wartete, die sie wieder in die Stadt bringen sollte, rief sie die Gerichtsmedizin an. Sie bekam einen Pathologen an den Apparat und berichtete, dass Sveinung Adeler am Mittwochabend zwischen 19.30 und 23.00 Uhr Lutefisk, Bier und Aquavit zu sich genommen hatte. Sie ging davon aus, dass er um 22.00 Uhr mit dem Essen fertig gewesen war. Ob das die Bestimmung des Todeszeitpunkts erleichtern würde?
Der Pathologe war sich nicht sicher. Sie wurde mit Schwenke verbunden.
»Was ist denn nun schon wieder?«, bellte er ärgerlich. »Es ist Samstag, warum ruft ständig die Polizei hier an?«
Lena entschuldigte sich und versprach, ihm ein Weihnachtsgeschenk zu bringen, wenn er ihr schnell eine Frage beantwortete.
Schwenke zögerte nicht und sagte: »So wie das Essen verdaut war, wäre meine Schlussfolgerung, dass Adeler irgendwann zwischen fünf und sechs am Donnerstagmorgen ertrunken ist.«
Lena bedankte sich und legte auf.
Die blaue Straßenbahn glitt heran, hielt und öffnete die Türen. Lena stieg ein. Schwenke hatte natürlich Recht.
Samstag war ein freier Tag, und sie hatte viele Stunden mit Liebeskämpfen vor sich.
Sie fand einen Sitzplatz. Allein, dachte sie. Ein ganzes Wochenende nur für mich.
Sie zog die zerknitterte Plastikblume aus der Tasche, die ihr das kleine Mädchen geschenkt hatte. Rollte sie zwischen den Fingern hin und her. Wieder spürte sie die Rührung, bekam einen Kloß im Hals und dachte an den Knoten in ihrer Brust. Wenn einen negative Gedanken belasten, tut es gut, gesehen zu werden. Sie atmete tief durch und schloss die Augen. Das ist ein Zeichen, dachte sie. Ich bin verletzbar. Ich muss dieses freie Wochenende richtig nutzen, für mich ganz allein, meditieren, trainieren.
MONTAG, 14. DEZEMBER
1
»Tut mir leid«, sagte Lena. »Aber ich habe deine Nachricht erst gestern Abend bekommen.«
Gunnarstranda antwortete nicht.
»Mein Handy lag abgeschaltet zuhause, und ich war mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt. Ich habe eine Mutter, die ganz bestimmte Vorstellungen hat, wie Weihnachten ablaufen soll.«
Sie hätte sich nicht entschuldigen müssen, tat es aber trotzdem.
Eine freundliche Seele hatte am Wochenende zu viele Lussekatter gebacken und beschlossen, den Rest mit den Kollegen zu teilen. Ein roter Korb mit glänzenden kleinen Gebäckringen stand zwischen zwei halbvollen Kaffeetassen, die nicht mehr dampften. Lena sah zu, wie Gunnarstranda nach einem Gebäck griff und es in zwei Teile brach. Als er sah, dass es innen gelb war, legte er die beiden Teile wieder zurück.
»Das kannst du nicht machen«, sagte Lena.
»Eigentlich ging es grade darum, was du tun solltest«, sagte Gunnarstranda, gehorchte aber, griff nach den beiden Hälften und warf sie in den Papierkorb.
Lena hob eine der Kaffeetassen hoch und schwenkte die kalte Flüssigkeit herum. An den Rändern blieb Kaffeesatz hängen.
Es gab immerhin eine unbestreitbare Schlussfolgerung: Eine oder mehrere unbekannte Personen waren in dem Moment, als Adeler ins Wasser fiel, bei ihm gewesen. Nachdem das Laborseinen Teil der Arbeit erledigt hatte, stand das außer Frage. Das Brett, das neben der Leiche im Wasser trieb, wies Fasern von Adelers Hemd auf. Jemand hatte am Rand des Kais gestanden und es dem Mann, der da im Wasser zappelte, in den Nacken gedrückt. Entweder, um ihm zu helfen, oder, um ihn unter Wasser zu halten – oder aber, um die Leiche herauszufischen. Egal, was der Betreffende getan hatte, er hatte sich nicht gemeldet. In Lenas Kopf blinkten vier
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