Die Kommissarin und der Tote im Fjord
sie konnte. »Sie hören mir nicht zu. Ich biete Ihnen an, Ihre Aussage zu revidieren.«
Aud Helen Vestgårds Augen blitzten immer noch. Aber sie dachte offensichtlich darüber nach, was Lena gesagt hatte. Schließlich ließ sie die Schultern sinken, trat an ihren Schreibtisch und bewegte ein paar Papiere hin und her, während sie weiter nachdachte.
»Sveinung«, sagte sie endlich. »Sveinung und ich waren bei einem Weihnachtsessen. Lassen Sie mich Folgendes unterstreichen, damit es in Ihren lästigen Berichten korrekt festgehalten wird. Sveinung und ich hatten keine Affäre. Es war eine professionelle Beziehung, aus der sich eine Freundschaft entwickelt hat. Ich war eine … nennen Sie es Mentorin für Sveinung. Er war noch nicht so lange Parteimitglied. Wir haben uns im Wahlkampf kennen gelernt. Ich stand da draußen an einem Stand«, sie zeigte aus dem Fenster, »und Sveinung blieb stehen und verwickelte mich in eine Diskussion über die Ölbohrungen vor den Lofoten.« Vestgård lächelte schwach bei der Erinnerung. »Es hat geregnet, ein ekliges Wetter, aber wir haben uns die Köpfe heiß diskutiert. Er hatte starke Positionen, und er konnte sie gut vorbringen. Tja, jedenfalls stellte sich heraus, dass Sveinung Parteimitglied war, und wir trafen uns in dem Zusammenhang kurz darauf wieder. Wurden Freunde. Wir mochten uns einfach. Am Mittwoch waren wir in diesem Restaurant in Grefsen essen, weil es das einzige Lokal war, wo man noch einen Tisch bekam. Er wollte nämlich Lutefisk essen.« Vestgård zuckte mit den Schultern. »Das Weihnachtsessen war der Grund, warum wir in dieses Lokal mussten. Alle anderen bekannten Restaurants im Zentrum waren ausgebucht. Wenn er Sushi oder Tapas hätte essen wollen, oder thailändisch von mir aus, hätten wir im Zentrum etwas finden können.«
Lena musste fragen: »Aber warum haben Sie beim letzten Mal behauptet, Sie würden ihn nicht kennen?«
Aud Helen Vestgård wandte sich von Lena ab und starrte stattdessen nachdenklich aus dem Fenster. »Das war natürlich dumm von mir. Aber Sie haben mich so überrumpelt. Ich habe auf die Aufklärung der Morddrohung gewartet. Als Sie dann plötzlich mit Sveinung ankamen – tja, ich wollte keine Presse und keine Spekulationen. Und es hätte eine Lawine davon gegeben. Immerhin war Sveinung fünfzehn Jahre jünger als ich.«
»Den Zeugen zufolge waren sie zu dritt bei dem Essen in Grefsen. Wer war der Dritte?«
Die Stille danach war ohrenbetäubend. Aud Helen Vestgård sah Lena scharf an.
Die Sekunden tickten.
Lena konnte förmlich die Zahnräder im Kopf der Frau rotieren hören.
»Ihr Zeuge irrt sich«, sagte Aud Helen Vestgård schließlich. Ihre Stimme zitterte. »Wir waren nicht zu dritt. Wir waren nur zu zweit. Sveinung und ich. Das Lokal war brechend voll, und Ihr Zeuge hat es sicher falsch gedeutet, dass irgend jemand von einem anderen Tisch mit uns gesprochen hat. Es war ein typisch norwegischer, feuchtfröhlicher Lutefisk-Abend. Die Leute haben sich von Tisch zu Tisch zugeprostet, und das haben wir auch getan. Aber wir waren nur zu zweit. Gerade deswegen wollte ich ja nicht über dieses Treffen sprechen, weil die Tatsache, dass Sveinung und ich allein zu Abend aßen, zu Missverständnissen eingeladen hätte.«
»Ist das Ihr letztes Wort?«, fragte Lena.
»Natürlich«, gab Vestgård zurück.
Lena wählte ihre Worte mit Bedacht, bevor sie antwortete: »Wir versuchen nachzuvollziehen, was Adeler in den Stunden vor seinem Tod tat. Wohin sind Sie nach dem Essen gegangen?«
»Ich bin nach Hause gefahren. Keine Ahnung, was er gemacht hat.«
»Könnte er mit dieser unbekannten dritten Person gefahren sein?«
»Hören Sie schlecht? Es gab keine dritte Person!«
Lena sah ein, dass Vestgård nicht darauf eingehen würde, und fragte stattdessen: »Wie sind Sie nach Hause gekommen?«
»Ich habe ein Taxi genommen. Sveinung hat sich wahrscheinlich auch eins bestellt.«
»Nach Aussage der Angestellten des Restaurants wurde nur ein Taxi bestellt.«
»Sveinung ist ein moderner Mensch und kann gut auf sich selbst aufpassen.«
»Haben Sie gesehen, dass er in ein Taxi gestiegen ist?«
»Nein. Aber ich nehme an, dass er das getan hat. Er war gut gelaunt. Als der Wagen kam, hat er ihn mir überlassen. Er sagte, er würde einen anderen nehmen. Er war ein erwachsener Mann über dreißig, also hatte ich keine Bedenken, ihn sich selbst zu überlassen. Es war erst elf Uhr abends.«
»Hat er Ihnen gesagt, wohin er nach dem Essen wollte,
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