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Die Kommissarin und der Tote im Fjord

Die Kommissarin und der Tote im Fjord

Titel: Die Kommissarin und der Tote im Fjord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Ola Dahl
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der Hand. Fasste einen Entschluss. Riss den Umschlag auf und zog das Papier heraus. Las den ersten Satz: Sorgen Sie dafür, dass Sie nicht allein sind, wenn Sie anrufen, um das Resultat der Untersuchungen zu erfahren. Es kann hilfreich sein, dann mit jemandem sprechen zu können .
    Der Ernst des Textes überwältigte sie. Ein paar Sekunden saß sie mit geschlossenen Augen da. Doch dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie stieg aus dem Wagen und schloss ihn ab. Sie musste sich bewegen.
    Ziellos wanderte sie umher und landete schließlich bei Steen   & Strøm , ging in ihrem gefütterten Wintermantel durch die beheizten Verkaufshallen und fühlte sich wie ein Astronaut, der in einer fremden Welt umhertappte. Sie befand sich in der Parfümabteilung. Wie war es möglich, dass Frauen, die in Parfümerien arbeiteten, immer gleich aussahen? Wie brachten sie es fertig, immer so flott und zeitgemäß auszusehen, in allen Ländern, in allen Städten der Welt? Als Lena ein kleines Mädchen war, war sie hierhergekommen und hatte mit großen Augen die schönen Frauen mit den rosa Schürzen angeschaut, die nach Parfüm und Puder dufteten. Sie hatte davon geträumt, auch einmal eine von ihnen zu sein, eine duftende Schönheit in einer Parfümerie, umgeben von Cremes und Schminke und aufreizender Unterwäsche.
    Was geschah gerade mit ihr?
    Sie hatte etwas begriffen.
    Ich bin sterblich .
    Ich bin 33 Jahre alt und habe mir das eigentlich vorher nicht klargemacht. Ich habe 33 Jahre mit nichtssagendem Zeug vertan. Ich habe meine Mutter verachtet und meinen Vater vermisst und über eine lächerliche Liebe geweint, als ich aufs Gymnasium ging. Warum bin ich Polizistin geworden? Weil es schwer war. Weil es gute Noten erforderte und eine bestandene Aufnahmeprüfung. Weil Kenneth, meine lächerliche Jugendliebe, auch Polizist werden wollte. Er schaffte es nie. Erfüllte die Aufnahmebedingungen nicht. Ich habe es geschafft. Aber was ist der Sinn des Ganzen? Warum dieses Schichtarbeiten und endlose Überstundenschieben? Warum den Körper quälen, ihm den Schlaf rauben, warum sich auspowern, das tun, was man für richtig hielt, wenn man dafür dann nur Undankbarkeit und böse Worte erntete? Warum habe ich mich um die Stelle als Ermittlerin beworben? Kleine Lena, Streberin .
    Sie ließ sich langsam von der Rolltreppe nach oben tragen. Auf der Stufe vor ihr stand eine ungewöhnlich schöne, asiatisch aussehende Frau, die einen übergewichtigen Mann gleichen Alters an der Hand hielt. Lena folgte ihnen. Sie sahen sich Damenunterwäsche an. Die dunkle Schönheit warf sich durchsichtige Slips und aufreizende Korsetts über den Arm, zeigte sie ihrem dicken Geliebten, der ermunternd nickte. Lena ging an ihnen vorbei und fuhr die Rolltreppe wieder nach unten. Sie passte nicht unter diese Menschen, die keine Sorgen hatten. Sie war sterblich.
    Heute noch zur Arbeit zurückzufahren kam nicht in Frage. Sie ging fast blind zurück zu ihrem Wagen. Setzte sich hinein und fuhr los. Sie dachte an ihre Mutter, dachte an ihren toten Vater und zuckte zusammen, als eine Hupe ertönte.
    Sie war bei Rot über die Kreuzung gefahren! Reiß dich zusammen, Lena !
    Sie nahm sich zusammen und fuhr konzentriert weiter. Dann fasste sie sich an die Brust. Warum fasste sie sich an die Brust? Sie verspürte ein Stechen.
    Sie fuhr an den Straßenrand und hielt an. Löste ihren Sicherheitsgurt. Das half. Das leichte Stechen verschwand. Auf der anderen Straßenseite thronte ein Wohnblock mit vielen Stockwerken. Im dritten wohnten Menschen mit großem Weihnachtsenthusiasmus. Die Veranda war üppig mit roten, gelben und grünen Lichtern behängt. Über dem Ganzen leuchtete eineNachricht an die Welt, wie eine Reklametafel in Rot und Weiß: Frohe Weihnachten .
    Lena blinkte und fuhr wieder auf die Fahrbahn. Sie wollte nach Hause, weg von allem und in Träume eintauchen, Teelichte anzünden und Räucherstäbchen abbrennen. Sie hatte immer noch drei Episoden von Stolz und Vorurteil vor sich. Lizzy war noch nicht mit Tante und Onkel nach Blenheim gefahren. Mister Darcy war noch nicht auf seinem weißen Pferd geritten gekommen, und Lydia war noch nicht mit Wickham weggelaufen.
4
    Durch die scheppernde Tür des Asylet zu treten war wie in eine längst vergangene Zeit einzutauchen. Wand- und Bodenbretter sahen aus wie mit der Motorsäge geschnitten. Das Winterholz stand gestapelt an der Wand. In dem riesigen Kamin brannte ein gemütliches Feuer, und Frank Frølich hatte sich an einen der

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